Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
sie ebenso zu Krebs führen wie Strahlung, die das Genom mutieren lässt. Das erklärt, warum zum Beispiel ehemalige Brustkrebspatientinnen später im Leben womöglich durch die Chemotherapie, mit der ihr Brustkrebs behandelt wurde, Leukämie bekommen. So haben sie zwar eine Krankheit gegen die andere eingetauscht, aber in der Zwischenzeit mehr hochwertige Lebenszeit gewonnen.
Tumore sollten selbst als Organe betrachtet werden; sie sind genauso ein Teil des Systems wie Leber, Herz und Lunge. Krebs ist ganz einfach ein Systemversagen. Um es mit Tolstoi zu sagen: »Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich«; ebenso gleicht ein glücklicher Körper dem anderen, aber wenn er zusammenbricht, tut er es auf seine ganz eigene Weise.
Aus dem Krebs ein Substantiv zu machen, ist eigentlich ein Missverständnis. Krebs ist, wie ich gerne sage, nichts, was man »bekommt« oder »hat«, sondern etwas, das der Körper tut. Sie sagen ja auch nicht: »Mein Haus hat Wasser«, sondern: »Meine Wasserleitung leckt«. Anstatt zu sagen, jemand habe Krebs, sollte es lieber heißen, er krebse. Wir krebsen wahrscheinlich alle die ganze Zeit, und unser Körper hat das Problem normalerweise im Griff und sorgt dafür, dass es nicht außer Kontrolle gerät. Was den Krebs unter Kontrolle hält, ist eine Verständigung zwischen den Zellen, und die Sprache dieser Verständigung ist in den Proteinen enthalten.
Die Macht der Proteine
An Proteine, also Eiweiß, denken wir meist im Zusammenhang mit unserer Ernährung; sie sind neben Fett und Kohlenhydraten einer der drei Hauptbestandteile der Nahrung, der sogenannten Makronutrienten, die für unsere Gesundheit wichtig sind. Aber Proteine sind noch viel mehr. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil unseres Körpers und haben Anteil an so gut wie jedem Prozess innerhalb der Zellen, auch an der Verständigung der Zellen untereinander und der Organisation biologischer Vorgänge, auf denen die Zyklen von Gesundheit und Krankheit beruhen. Die Erforschung der Proteine, die sogenannte Proteomik, ist ein zukunftsträchtiges Forschungsgebiet, und zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört es, zu verstehen, wie Proteine die Sprache unseres Körpers – und die Sprache der Gesundheit – kreieren. Die Proteomik wird es uns ermöglichen, der Verständigung der Zellen untereinander zuzuhören. Dadurch werden wir zu besseren Therapien gegen Krebs wie gegen jede andere Störung oder Erkrankung gelangen.
Unsere DNA ist festgelegt, aber unsere Proteine sind dynamisch. Sie verändern sich abhängig von den Abläufen im Körper von Minute zu Minute. Ihrer DNA kann ich nicht ansehen, ob Sie gerade ein Glas Wein getrunken haben, ob Sie letzte Nacht gut geschlafen haben, wann Sie zuletzt gegessen haben oder ob Sie unter Stress stehen – Ihren Proteinen aber schon. Sie bieten Informationen über den Organismus, die man sonst nicht im Körper findet. Die Proteomik ermöglicht es mir, mir den »Zustand« des Körpers anzusehen, denn hier sehe ich, was Sie gegessen haben, was bestimmte Medikamente für Wirkungen in Ihrem Körper entfalten, wie sich eine große sportliche Anstrengung ausgewirkt hat und so weiter. Das ist der Blick aus einigen Kilometern Entfernung, mit dem ich eine Momentaufnahme des ganzen Systems gewinnen kann, wie sie mir die DNA allein nicht liefert.
Galileos Genialität
In Kapitel 5 werde ich Ihnen die Proteomik genauer vorstellen und den letzten Stand dieses vielversprechenden neuen Forschungsgebiets schildern. Ich bin überzeugt, dass sie die Zukunft der Medizin und die Zukunft unserer Gesundheit verändern wird. Bei einem Zusammenbruch des Systems, der etwa zu Krebs, Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis oder Fibromyalgie oder auch zu unerklärbaren chronischen Schmerzen und Nervenerkrankungen führt, könnte es den Unterschied zwischen einem endlosen und wenig erfolgreichen Kampf gegen eine chronische Krankheit und einer wirklichen Heilung, die das Leiden beendet, ausmachen, wenn wir verstehen, wie Proteine miteinander wechselwirken und sich innerhalb des Systems verändern. Die Vorstellung, dass man einfach eine Pille nehmen kann, die wie durch Zauberei die Manifestation einer Krankheit – einer Systemkrankheit, eines Zusammenbruchs des Systems – aufhebt, ist ziemlich bemerkenswert. Wie bereits geschildert, ist das üblicherweise möglich, wenn es sich um einen Erreger handelt, der nicht zum Körper gehört und den man
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