leben, sterben, tanzen, leiden (German Edition)
haben keine Ahnung , wo wir sind. Es ist schrec k lich.“
Ian hatte nicht viel verstanden, aber die Angst in ihren Worten war deutlich zu hören, auch wenn er nicht alles eindeutig registrierte . Die Hand, die ein paar Mal über seinen Kopf streichelte , war verschwunden, auch das b e ruhigende Klopfen auf seinem Rücken war weg. Ian nahm die Augenbinde von seinen Augen . Sein Mund war feucht . Sie musste fest angelegt worden sein. Ti e fe Riemen zeichneten sich seitlich an den Schl ä fen ab.
„Bleib ruhig“ , sagte eine männlichere Stimme . „Wir sind …?“, kam wieder von Christiane, sie hatte sich wieder an den Baum stamm angelehnt und Tränen kamen erneut aus ihren Augen, wie auf Knopfdruck . Striche, dicke und dünne vor einem hellen Hintergrund. Es dauerte, bis er die Str iche als Bäume identifiziert e . „ Christiane ?“, sagte er fragend und Christiane gab keine Antwort von sich , sie wei n te . Ian seufzte, ihm tat sein Becken weh. Er hatte sich schon ein mal das Becken verrenkt, als er auf einer Bauste l le gearbeitet hatte, um den Sommer über Geld anzusparen, damit er sich im Winter mehr auf sei n Studium konzentrieren kon n te. – Die Winter waren immer schrecklich gewesen, als er noch studierte. Billige Heizung, viel zu lernen, noch weniger Schlaf.
Ian s Haut war fahl im ganzen Gesicht, dafür war die Bläue an seinen Lippen leicht abgeklungen. Er glaubte schrecklich zu riechen und er spürte, dass der Druck von seiner Lunge in seinen Bauch gewandert war. Es kam nichts hoch. Da war auch nichts. Zaghaft rieb er sich den Bauch und fragte ganz vorsichtig: „Sind wir zusammen schlafen gegangen?“
Franz versuchte zu lächeln, seine Haut spannte sich aber nicht im Geringsten und Christiane schüttelte nur ihren Kopf, wie ein trotziges Kind. Noch einmal fragte er sich, ob er mit ihnen schlafen gegangen war ? Er versuchte sich die letzten Minuten vor seinem Schlaf wieder ins G e dächtnis zu rufen . Hatte er nicht mit Fabienne tele foniert ? Sein Handy! Er nahm seine Hand von seinem Bauch weg und betastete alle Hosentaschen , erinnerte sich aber sein Handy auf die Kommode gelegt zu haben. Er blickte sich um, seine Nackenwirbel knackten so laut, wie kleine g e brochene Äste im Winter, die unter der Last abbrachen, aber er sah kein Nachtkästchen. Er war ja nicht mal mehr in seinem beschissenen Hotelzimmer.
„Aber wo …?“ Im Uhrzeigersinn drehte er sich. Keine gab eine Antwort. Er rieb sich den Dreck, den er um seinen Mund hatte (er hatte fest mit dem Gesicht auf dem Waldboden geschl a fen) mit der Hand weg . Spuckte sogar etwas Dreck aus. Nadelbaum artiges Zeug und Gras hatte sich um seine m Mund gesammelt gehabt . Igitt . Und anstatt eines Nachtkästchens erblickte er Franz, der ihn ebenso fragend betrachtete wie Christiane , die immer noch weinte und sich kaum zu b e ruhigen schien.
„Was soll das?“
Franz, etwas abgebrühter: „Keine Ahnung, Mann.“
Seine Sprachgewandtheit hatte ihm noch nie gefallen – obwohl sie freundlicher klang als im H o tel – , schoss es Ian durch die Gedankengän ge. B evor er an diesen Gedanken weiter a n knüpfte n konnte , drehte er sich nochmals. Er hoffte aufzuwachen. Das jetzt war eindeutlich Schlimmer als der Traum gewesen, wo sie ihm seinen Sohn weggenommen hatten. Denn da hatte er gewusst, gefühlt, dass es ein Traum war. Aber hier und jetzt hatte er nicht das Gefühl zu träumen. Er ve r änderte seine Position. Ein kurzer Krampf im Bein. „Nicht so schlimm, nicht so schlimm“, sagte er, Franz wollte ihm seine Waden reiben, „ich kann das alleine, danke, dank“, sagte er schnell, drehte sich von Franz weg, damit dieser nicht sehen konnte, dass ihm schon wieder Tränen ve r ließen. Der Krampf war vorbei. Er versuchte sich so hinzustellen, um sein B e cken ein wenig zu entlasten, es tat ihm noch immer weh. Er kam sich vor wie runtergeschluckt, verdaut und ausg e schissen . Schwer atmend , mit anhaltenden Seufzern verbun den, rec k te es ihn ständig und er konnte dieses um Hilfe rufende Gefühl nicht verdrängen . Christiane schien sich ein wenig ber u higt zu haben oder die Tränen waren ihr ausg e gan gen, auf jeden Fall holte sie nur mehr stark Luft und keuchte dabei laut.
„Beruhige dich , Christiane “, hatte Franz wie eine kaputte Schallplatte ständig zu ihr gesagt , als das schwere Luftholen gepaart mit dem Weinen wieder einsetzte. Wahrscheinlich hatte es ein wenig geholfen.
„Ich versuch’s ja, aber …“, sie brach ab und
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