leben, sterben, tanzen, leiden (German Edition)
gestern A bend wirklich gewesen war. Hatte sie eine Augenbinde angelegt, hatte sie überhaupt eine eing e packt gehabt ? Verwirrung .
Jede Bewegung kostete Kraft. Ihr Mund fühlte sich taub ab, die wenigen Geschmacksnerven, die sie sich am Vorabend nicht weggesoffen hatte – so schien es ihr –, schmeckten nach einer bittere n Mischung aus Blei und Blut. Sie wusste wie Blut im Mund schmeckte, hatte sie nach i h ren drei Geburten oft akutes Zahnfleischbluten gehabt .
Sie schob die Augenbinde zurück und wusste jetzt definitiv, dass sie am Vorabend keine A u genbinde um ihre Augen an gelegt hatte. Sie wusste a ußerdem, dass sie das Bier, das sie an der Hotelbar geordert, im Zimmer nicht geöffnet hatte. „Verdammt“, sagte sie leise und ihre Stim m bände r waren trockener als es ihr Humor je sein könnte . Das Bier hätte ich trinken sollen, wollte sie sagen und die Augen öffneten sich träge . Es bot sich ihr e in verschwommenes Bild ohne fei n gliedrige Einstellungen . Eine Betrachtung à la Andy Wa rhol auf Drogen ha tte sicherlich dieselbe Sichtweise g e habt. New Pop-Art für Verwirrte und Geisteskranke.
„Was ist hier los?“, fragte sie verworren und ihre Stimmbände r waren bis zum Zerreisen ang e spannt . D ie Wörter ächzten aus ihrem Mund und der bleierne Geschmack von vorhin war noch vorhanden und schien sich sogar noch zu verstärken. Sie drehte sich. I hr Gesicht b e rührte etwas Stacheliges, war sie in einem Traum? Ziemlich real. Mit ihrer Hand berührte sie das st a chelige Zeugs, es war Gras!
Ihre Glieder verkrampften sich. S ie versuchte sich aufz u richten, ein Schmerz durchfuhr ihre Glieder . Wo war sie? „Hilfe“, kam ihr leise über die Lippen. Sie war nicht im Hotel. Sie war dra u ßen, sie war in freier Natur. Es fröste l te sie, obwohl sie die Sonne sah. Sträucher, Bäume, ein Bach. Ich bin draußen, Natur, Wald, dachte sie erschrocken. Die hoch gewachsenen Bäume s a hen wie ermahnende Finger aus. Neben ihr lag Ian, zusammengekauert, ebenso mit einer Auge n binde. Zu ihren Füßen lag Markus , ihre Augen erkannten ihre Umgebung nun genau er . N eben Markus lag Mischa und zu ihrer Rechten sah sie Franz, dessen Augen ebenso mit einer Auge n binde vers e hen waren . Zuviel. Sie schrie. Einf ach schreien. Einfach schreien.
Franz bewegte sich. Christiane starrte, erschrocken . Schreck . Kein Schreien mehr. Sie flüsterte im he l len Morgenschein: „Franz, Franz wach auf.“
Franz sagte jedoch nichts. U nverständliche Worte . Gemurmel. Ein Speichelfluss verklebte se i nen Mund. Er ve r krampfte sich, es reckte ihn. Christiane konnte ihm nicht hel fen, sie konnte nicht, sie … sie war irgendwo , nur nicht in ihrem Hote l zimmer. Franz kotz t e Speichel, Schleim und Schaum. Er riss sich die Augenbinde vom Kopf. „Wasn für ’ n Lärm“, kam wie verknotet und ve r schlungen aus seinem Rachen hervorgewürgt. Er hielt sich die Hand vor s eine Augen, wollte aufstehen, f iel rücklings wieder auf den Boden, fast auf Mischa, und wartete. Versuchte zu spr e chen und wartete wieder, bis er gequält s a gen konnte: „I-s ss -t d-a -a w-e-r?“
„Ja, Franz, ich bin es, Christiane . Ich bin’s.“
Er stieß einen Seufzer aus, bleckte mit den Zähnen, knurrte fast.
Christiane hatte sich an das helle Sonnenlicht bereits mehr gewöhnt als noch vor Minuten , ha t te sich auf gesetzt und neben ei nen abgerissenen Baum angelehnt. S ie waren auf einer Lichtung z u rechtgelegt worden , erkannte sie jetzt genauer , wenn sie die Augen zu Schlitze n formte . Konzen t rieren, konzentrieren, konzentrieren, dachte sie sich, wie es auf der Selbstheilungs-CD mit g e sprochener Meditationsanlei tung von Dr. Frank Kinslow erklärt wu rd e . Hinter ihr plätsche r te es, sie nahm ein B ächlein wahr , ein Rinnsal mus s te es sein.
„Was tust du?“, fragte Franz.
Christiane weinte so stark, dass man nicht wusste , ob sie ein- oder ausatmete . Sie zog ihre fetten Füße , soweit es eben ging , an ihren fetten Körper heran , sodass ihre Knorpel knacksten , dann erstarrte sie in dieser P o sition.
Franz atmete schwer. Speichelfäden tröpfelten aus einer Seite seines Mundes heraus , diesen wischte er sich mit seinem Ärmel weg. Seine Glieder machten ebenso unkontrollierte Bewegu n gen. „Geht das wi eder vorbei?“, fragte er erstaunt mit zu Schlitze gemachten Augen, die seine Tränen verbergen wollten . Christiane antwortete ihm nicht, er versuchte sie im hellen Licht zu sehen , es blendete
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