leben, sterben, tanzen, leiden (German Edition)
Handy!“
Christiane schrie auf. Irgendwie klang es glücklich. Es w ar ihnen klar geworden , dass das Handy m a nipuliert sein müsste .
„Noch wissen wir nicht , ob es geht.“
Das Handy läutete.
Alle starrten auf das bimmelnde Ding, das die Musik von Leonard Cohen spielte, I’ m your m an hieß das gute Stück, das summend neben dem Bächlein gleich noch melancholischer klang. Chri s tiane begann von neuem zu schluchzen und sagte, dass sie und ihr Mann in einem Konzert von Leonard Cohen gewesen waren, als er 2010 in Graz gespielt hatte . Natürlich erzählte sie i h ren Reisekollegen nicht, dass sie ihren schwulen Ehemann zu diesem Ko n zertbesuch gezwungen hatte. Er wollte eigentlich viel lieber bei seinem Klaus sein, das hatte sie ganz genau g e wusst.
„Heb ab, Mann!“, sagte Franz. Und Ian hob ab.
„Hallo“, sagte er leise, nachdem er das Telefon aufg e klappt hatte. Er kannte diese Sorte Handy recht gut, drückte schnell auf die Lautsprecher t aste und ließ alle mithören.
Eine freundliche Frauenstimme sprach:
„Willkommen auf dem Erholungstrip von L.S.T.L.-Tours . I hr Partner für I hr Leben“, alle kan n ten diesen Spruch aus der Werbung. „Sie alle kennen L.S.T.L., wir lieben es , Sie zu unterhalten. Wir rei sen mit Ihnen. Wir sind an Ihrem Leben beteiligt. In Sachen Unterhaltung oder in Sachen persönlicher Angelegenheiten, wir sind für S ie da. L.S.T.L.: Wir helfen dem Wunder Leben, damit Sie es sich leisten können.
Und jetzt meine lieben Mitreisenden “ , die Stimme stoc k te ein wenig, Mischa hatte ihren Mund offen, Markus die Hände vor sein Gesich t gehalten und Christiane kauerte sich so k l ein zusa m men, das s man meinen könnte, sie hätte ihre Gelenke gebrochen, um sich wie ein Igel zusa m men zu rollen , „und jetzt wird es an der Zeit, dass Sie etwas für uns tun.“
Es stockte allen der Atem. Ian s Hand zitterte, Schweiß verlieh seinem ohnehin schon schwa r zen Haar einen noch schwärzeren Glanz. Er lag ihm wie ein Film im Gesicht und brach aus jeder Pore und er hof f te so sehr – auch jetzt noch – es möge alles nur ein Scherz sein, ein schlechter Scherz, aber ein Scherz. Er würde niemals mehr etwas von L.S.T.L. konsumieren, keine Zei t schrift, keine Dokumentation auf Video oder im Fernsehen. Und, und seine Versicherung, er würde sie kündigen. Ve r sprochen!
„Im Rucksack finden S ie Taschenlampen, etwas Proviant, eine Landkarte, die S ie zu verschied e nen Stationen in di e sem Camp bringen soll en . F ür jeden eine Kompass -Uhr , damit sie nicht vom rechten Weg abkommen . Wir bra u chen Sie. Sie sind uns wichtig.
L.S.T.L. I hr Partner für I hr Leben.“
Mischa brach in Tränen aus. O bwohl sie sich sicher war, dass sie keine Tränen mehr in sich be r gen konnte, weil sie ihr die ganze Zeit aus den Augen quellten , sprudelten sie von neuem . „Was soll das hier, was habe ich getan?“
Ian klappte das Handy zu. Er wusste darauf auch keine Antwort , starrte emotionslos und sagte knapp : „Sie benöti gen uns, vielleicht ist es so was wie ein Spiel, ein schreckliches S piel. Erpre s sung … “ , griff in den Rucksack und teilte die Ko m pass-Uhren aus.
Markus stand auf. Seine Muskeln fühlten sich schon kräftiger an , er trat gegen e i nen Baum und schrie: „Ich wollte ablehnen, ich wollte nicht mit. S che i ße!“
Und Franz sagte: „Ich glaub das nicht.“
„Das glaubt niemand“, sagt e Christiane und erinnerte sich – ganz plötzlich – an etwas. Sie hatte vor mehr als einem Jahr ein kurzes Gespräch mit dem Ex-Freund ihres schwulen Ehemannes, dem Karl , gehabt, den sie heimlich immer Syphilis-Boy nannte , manchmal auch Gonorrhoe -Hengst – je nach Ansteckungsart. U nd zuletzt, im Winter 2010, als sie ihn traf, um sich mit ihm auszusprechen, nannte sie ihn liebevoll Hepatitis-Schleuder. Manchmal musste sie über das ei n fältige Gesicht von ihm lachen und manchmal lachte sie auch über seinen Popo. Denn sie hatte sich über das Internet Zugang zur Internetseite ihres schwulen Ehemannes verschafft . Dort sah sie ein Popo-Foto von Charly und darunter stand: „Nur die H a r ten kommen durch.“
Karl war angelernter Gärtner und in seiner Freizeit züc h tete er Katzen, sein IQ war nicht sehr hoch , aber genau diese tapsige Art machte ihn wieder liebenswert. Karl war beim letzten Tre f fen traurig gewesen . Er erzählte von seinen Schulden und von seinen Rastplatzbesuchen , die ihm die vielen Geschlechtsk rankheiten
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