Leben, um davon zu erzählen
Fremdlingen.
Die verschiedenen Gruppen, die sich in der Abendpause auf die Ecken des Innenhofs verteilten, stellten eine reichhaltige Musterkollektion dessen dar, was das Land zu bieten hatte. Es gab keine Rivalitäten, solange jeder sich auf sein Revier beschränkte. Die Kariben hatten den Ruf, geradezu fanatisch zusammenzuhalten, laut und tanzfreudig zu sein. Ich war da eine Ausnahme, doch Antonio Martínez Sierra, ein Rumbaprofi aus Cartagena, brachte mir in den Pausen am Abend bei, zur Modemusik zu tanzen. Ricardo González Ripoll, mein großer Komplize bei flüchtigen Liebeleien, wurde ein berühmter Architekt, unterbrach aber nie das eine Lied, das er stets kaum hörbar auf den Lippen hatte, und tanzte bis zum Ende seiner Tage allein vor sich hin.
Mincho Burgos, ein geborener Pianist, der es zum Dirigenten eines nationalen Tanzorchesters brachte, gründete mit denen, die ein Instrument lernen wollten, die Schulkapelle und führte mich in die Geheimnisse der zweiten Stimme bei Boleros und Vallenatos ein. Seine größte Tat war jedoch, dass er Guillermo López Guerra, einen waschechten Bogotáner, in der karibischen Kunst schulte, die Klanghölzer zu schlagen, und das ist eine Sache von drei zwei, drei zwei.
Humberto Jaimes aus El Banco war ein besessener Studiosus, der sich nichts aus dem Tanzen machte und seine Wochenenden opferte, um weiter in der Schule zu lernen. Ich glaube, er hatte noch nie einen Fußball gesehen oder einen Bericht über irgendein Spiel gelesen. Bis er sein Ingenieursdiplom machte und dann in Bogotá als Volontär in die Sportredaktion von El Tiempo kam und schließlich dort Ressortleiter und einer der guten Fußballchronisten des Landes wurde. Der merkwürdigste Fall, an den ich mich erinnere, war jedoch zweifelsohne Silvio Luna, ein sehr dunkelhäutiger Junge aus dem Choco, der erst Anwalt, dann Arzt wurde und, bevor ich ihn aus den Augen verlor, eine dritte akademische Laufbahn beginnen wollte.
Daniel Rozo - Pagocio - trat stets als Weiser aller menschlichen und göttlichen Wissenschaften auf und brüstete sich damit im Unterricht und in den Pausen. Wir wandten uns immer an ihn, wenn wir uns über den Zustand der Welt im Zweiten Weltkrieg informieren wollten, den wir nur über Gerächte verfolgten, da in der Schule der regelmäßige Bezug von Zeitungen und Zeitschriften verboten war und wir das Radio nur dafür nutzten, miteinander zu tanzen. Wir hatten nie Gelegenheit herauszubekommen, woher Pagocio von all den großen Schlachten erfuhr, in denen immer die Alliierten siegten.
Sergio Castro aus Quetame war vielleicht der beste Schüler in all den Jahren und bekam seit seinem Eintritt ins Liceo immer die besten Noten. Das Geheimnis war wahrscheinlich eben die Methode, die mir Martina Fonseca für das Colegio San José geraten hatte: Er hörte dem Lehrer und den Beiträgen semer Mitschüler genau zu, machte sich sogar über die Atmung der Lehrer Notizen und ordnete alles in einem perfekt geführten Heft. Wahrscheinlich musste er deshalb keine Zeit darauf verschwenden, sich auf Prüfungen vorzubereiten, und las am Wochenende, wenn wir über den Schulbüchern brüteten, Abenteuerromane.
In den Pausen war der echte Bogotáner Álvaro Ruiz Torres mein häufigster Gefährte, mit dem ich beim Abendrundgang die täglichen Neuigkeiten über die jeweiligen Bräute austauschte, während wir mit militärischem Schritt um den Hof marschierten. Auch Jaime Bravo, Humberto Guillén und Álvaro Vidal Baron waren mir in der Schule sehr nah, und wir pflegten uns noch Jahre lang im wirklichen Leben zu treffen. Álvaro Ruiz fuhr jedes Wochenende zu seiner Familie nach Bogotá und kam gut ausgerüstet mit Zigaretten und Nachrichten von den Mädchen zurück. Er hat mich, während wir zusammen zur Schule gingen, in beiden Lastern bestärkt und mir in den letzten zwei Jahren seine besten Erinnerungen ausgeliehen, die in diesen Memoiren wieder lebendig werden.
Ich weiß nicht, was ich während der Gefangenschaft im Liceo Nacional wirklich gelernt habe, doch durch die vier Jahre freundlichen Zusammenlebens mit all den anderen habe ich eine einheitliche Sicht auf die Nation gewonnen, ich entdeckte, wie unterschiedlich wir sind und zu was wir taugen, und lernte, um es nie wieder zu vergessen, dass in der Summe von uns allen das Land als Ganzes vertreten ist. Vielleicht war es das, was sie beim Ministerium mit der kulturellen Mobilität innerhalb der Regionen meinten, die von der Regierung gefördert wurde.
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