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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Ankunft wegen der Kälte und des Nieselregens sehr schnell in Richtung Erziehungsministerium lief, wo die Einschreibung für den landesweiten Stipendienwettbewerb begann. Die Schlange fing im dritten Stock des Ministeriums an, vor der Tür zum Einschreibungsbüro, und wand sich dann die Treppe hinab bis zum Haupteingang. Der Anblick war entmutigend. Als es gegen zehn Uhr vormittags aufklarte, ging die Schlange noch zwei Straßen weiter bis zur Avenida Jiménez de Quesada, dabei fehlten noch die Bewerber, die sich vor dem Regen unter die Torbögen geflüchtet hatten. Bei einem derartigen Andrang hielt ich es für aussichtslos, selbst irgendetwas zu erreichen.
    Am frühen Nachmittag spürte ich, wie mir jemand auf die Schulter tippte. Es war der unersättliche Leser vom Schiff, der mich weit hinten in der Schlange entdeckt hatte, während ich ihn mit seiner Melone und in der Trauerkleidung der Cachacos kaum wieder erkannte. Auch er war verblüfft und fragte mich:
    »Was zum Teufel machst du hier?«
    Ich sagte es ihm.
    »Das ist aber komisch!«, sagte er und lachte laut. »Komm mit«, und er nahm mich am Arm und führte mich ins Ministerium. Nun erfuhr ich, dass er Dr. Adolfo Gómez Tämara war, der Leiter der nationalen Stipendienabteilung im Erziehungsministerium.
    Es war ein ganz unmöglicher Zufall und einer der glücklichsten in meinem Leben. Mit einem Scherz nach Studentenart stellte mich Gómez Tómara seinen Assistenten als den inspiriertesten Sänger romantischer Boleros vor. Sie servierten mir Kaffee und schrieben mich ohne weitere Umstände ein, nicht ohne mich vorher darauf hinzuweisen, dass sie keine Instanzen umgingen, sondern nur den unergründlichen Göttern des Zufalls Tribut zollten. Sie teilten mir mit, dass das allgemeine Examen am nächsten Montag in der Schule San Bartolomé stattfinde. Man rechnete mit rund tausend Bewerbern aus dem ganzen Land für die etwa dreihundertfünfzig Stipendien, die Schlacht würde also lang und schwierig werden, meinen Hoffnungen vielleicht den Todesstoß versetzen. Die Begünstigten würden die Ergebnisse eine Woche später erfahren und dann auch mitgeteilt bekommen, welcher Schule sie zugewiesen worden waren. Letzteres war neu und unerfreulich für mich, man konnte mich demnach ebenso gut nach Medellin wie nach Vichada schicken. Dieses geografische Lotteriespiel solle die kulturelle Mobilität unter den verschiedenen Regionen fördern, wurde mir erklärt. Als die Formalitäten erledigt waren, drückte Gómez Tómara mir ebenso energisch und enthusiastisch die Hand wie beim Dank für den Bolero.
    »Pass gut auf«, sagte er, »dein Leben liegt jetzt in deiner Hand.«
    Als ich aus dem Ministerium trat, erbot sich ein kleines Männchen, das wie ein Geistlicher aussah, mir für fünfzig Pesos ohne Prüfung ein sicheres Stipendium an der Schule meiner Wahl zu verschaffen. Das war für mich ein Vermögen, aber hätte ich das Geld gehabt, ich glaube, ich hätte es ausgegeben, um dem Grauen der Prüfung zu entgehen. Ein paar Tage später erkannte ich das Männlein auf einem Zeitungsfoto wieder, der Hochstapler war der Anführer einer Bande von Betrügern, die sich als Geistliche verkleideten, um in staatlichen Behörden illegale Geschäfte zu betreiben.
    Ich packte den Koffer nicht aus, da ich mir gewiss war, man würde mich zum Teufel schicken. Mein Pessimismus saß so tief, dass ich am Vorabend der Prüfung mit den Musikern vom Schiff in eine gottverlassene Kneipe im anrüchigen Viertel Las Cruces ging. Dort sangen wir für Schnaps, ein Lied brachte ein Glas Chicha, das war ein barbarischer, aus Mais gebrannter Fusel, den genießeriche Trunkenbolde mit Schießpulver zu verfeinern pflegten. Also kam ich zu spät zum Examen, in meinem Kopf hämmerte es, und ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wo ich gewesen war und wer mich letzte Nacht heimgebracht hatte, doch barmherzigerweise wurde ich in den riesigen Saal, der voll gestopft mit Bewerbern war, eingelassen. Schon ein flüchtiger Blick auf den Fragebogen genügte, und ich sah die Niederlage vor mir. Nur um den Aufsehern nicht aufzufallen, beschäftigte ich mich mit dem gesellschaftswissenschaftlichen Abschnitt, dessen Fragen mir am wenigsten grausam erschienen. Und plötzlich fühlte ich mich von einer Aura der Inspiration getragen, die mir erlaubte, glaubwürdige Antworten zu improvisieren und wundersame Glückstreffer zu landen. Nur nicht in Mathematik, sie verweigerte sich mir, selbst wenn Gott es anders gewollt

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