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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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riss. Es waren anderthalb Stunden zwangloser Intimität, in der man die Kleidung in Ordnung brachte, die Schuhe putzte, sich unter dem flüssigen Eis eines Rohrs ohne Duschkopf wusch, während jeder seine Frustrationen herausschrie und über die der anderen spottete, eine Zeit, in der Liebesgehei-mnisse gebrochen wurden, man über Verträge und Streitigkeiten verhandelte und die Tauschgeschäfte im Esssaal vereinbarte. Ein morgendliches Dauerthema war das am Abend vorgelesene Kapitel.
    Guillermo Granados ließ mit einem unerschöpflichen Repertoire an Tangos seiner Sangesgabe als Tenor freien Lauf. Zusammen mit Ricardo González Ripoll, meinem Bettnachbarn, sang ich im Duett karibische Guarachas, im Rhythmus des Lappens, mit dem wir am Kopfende des Betts sitzend die Schuhe wienerten, während mein Gevatter Sabas Caravallo, der Zuchtbulle von La Guajira, nackt, wie seine Mutter ihn geboren hatte, von einem Ende des Schlafsaals zum anderen lief, das Handtuch über seine Betonlatte gehängt.
    Wenn es denn möglich gewesen wäre, hätten sich eine große Anzahl der Internatszöglinge spätnachts davongemacht, um die an den Wochenenden vereinbarten Stelldicheins einzuhalten. Es gab keine Nachtwache und keine Schlafsaalaufsicht außer dem wöchentlich zuständigen Lehrer. Und den ewigen Portier des Liceos, Riverita, der eigentlich immer im Wachschlaf war, während er seinen täglichen Aufgaben nachging. Er wohnte in einem Zimmer am Eingang und genügte seinen Pflichten, doch nachts konnten wir die schweren Kirchentüren entriegeln und sie geräuschlos wieder anlehnen, die Nacht in einem fremden Haus genießen und kurz vor Morgengrauen über die eisigen Straßen zurückkehren. Wir erfuhren nie, ob Riverita tatsächlich wie ein Toter schlief, oder ob er nur so tat und sich auf taktvolle Weise zum Komplizen seiner Jungs machte. Nicht viele stahlen sich nachts davon, und ihre Geheimnisse vermoderten im Gedächtnis ihrer treuen Komplizen. Ich habe einige gekannt, die es routinemäßig machten, und andere, die es nur einmal mit dem Mut, den das Abenteuer verleiht, wagten und dann von Angst geschwächt heimkamen. Wir haben nie von einem erfahren, der erwischt worden wäre.
    In der Gemeinschaft eckte ich eigentlich nur mit meinen von der Mutter geerbten finsteren Albträumen an, die wie ein Heulen aus dem Jenseits in die Träume der anderen einbrachen. Meine Bettnachbarn kannten das nur zu gut und fürchteten nur das erste Aufjaulen in der Stille der Nacht. Der Dienst habende Lehrer, der in einer Pappkabine schlief, lief dann schlafwandlerisch durch den Schlafsaal, bis wieder Ruhe eintrat. Diese Alb träume waren nicht nur unkontrollierbar, sie hatten auch etwas mit einem schlechten Gewissen zu tun, denn sie überfielen mich zweimal in unstatthaften Häusern. Sie pflegten undeutbar zu sein, weil sie sich nicht aus angstvollen Träumen entwickelten, sondern, ganz im Gegenteil, aus glücklichen Episoden mit gewohnten Personen an gewohnten Orten, mir jedoch plötzlich in aller Unschuld Unheilvolles offenbarten. Albträume, die kaum mit denen meiner Mutter zu vergleichen waren, die einmal ihren eigenen Kopf im Schoß liegen hatte, um ihn von den Nissen und Läusen zu befreien, die sie nicht schlafen ließen. Ich gab keine Angstschreie von mir, sondern Hilferufe, damit jemand so barmherzig wäre, mich aufzuwecken. Im Schlafsaal des Internats blieb keine Zeit für Weiteres, da ich beim ersten Klagelaut mit Kopfkissen aus den Nachbarbetten bombardiert wurde. Ich wachte keuchend, mit hämmerndem Herzen auf, war aber glücklich, lebendig zu sein.
    Das Beste am Schlafsaal war zweifellos das laute Vorlesen vor dem Schlafen. Es begann durch eine Initiative von Lehrer Carlos Julio Calderón mit einer Geschichte von Mark Twain, die von den Schülern der vorletzten Klasse für eine überraschende Prüfung in der ersten Stunde vorbereitet werden musste. Er las die vier Seiten laut vor, damit die Schüler, die keine Zeit zum Lesen gehabt hatten, sich Notizen machen konnten. Das allgemeine Interesse war jedoch so groß, dass dann eingeführt wurde, jeden Abend vor dem Schlafen etwas vorzulesen. Am Anfang gab es Schwierigkeiten, weil irgendein bigotter Lehrer durchsetzen wollte, dass im Schlafsaal nur ausgesuchte und bereinigte Bücher vorgelesen wurden, doch eine drohende Rebellion führte dazu, dass die Auswahl den älteren Schülern überlassen blieb.
    Zunächst dauerte die Lesung eine halbe Stunde. Der Lehrer, der Aufsicht hatte, las in

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