Leben, um davon zu erzählen
geführt von dem neuen Rektor, fuhr zu Alejandro Ramos' Beerdigung, und allen blieb das Ereignis als Abschied von einer Epoche in Erinnerung.
Das Interesse für die Landespolitik war im Internat nur gering. Im Haus meiner Großeltern hatte ich zu oft hören müssen, dass nach dem Krieg der Tausend Tage die beiden Parteien sich nur dadurch unterschieden, dass die Liberalen zur Fünf-Uhr-Messe gingen, damit sie nicht gesehen wurden, und die Konservativen zu der um acht Uhr, damit man sie für gläubig hielt. Die tatsächlichen Unterschiede wurden erst dreißig Jahre später wieder spürbar, als die Konservative Partei die Macht verlor und die ersten Präsidenten der Liberalen versuchten, das Land den neuen Strömungen aus aller Welt zu öffnen. Die Konservative Partei, gescheitert an ihrer dahinrostenden absoluten Macht, hatte im eigenen Haus für Sauberkeit und Ordnung gesorgt und am fernen Glanz Mussolinis in Italien und der Finsternis unter General Franco in Spanien teilgehabt, während die erste Regierung von Präsident Alfonso López Pumarejo mit einer Plejade junger gebildeter Männer bemüht war, die Voraussetzungen für einen modernen Liberalismus zu schaffen, wohl ohne zu wissen, dass sie damit das fatale historische Geschick bediente und sich dann auch in Kolumbien der Riss auftat, der die Welt in zwei Hälften teilte. Es war unvermeidlich. In einem der Bücher, die uns die Lehrer liehen, las ich einen Spruch, der Lenin zugeschrieben wurde: »Wenn du dich nicht mit Politik beschäftigst, wird die Politik sich am Ende mit dir beschäftigen.«
Nach sechsundvierzig Jahren einer steinzeitlichen Hegemonie konservativer Präsidenten schien jedoch der Frieden möglich zu werden. Drei junge Präsidenten mit moderner Geisteshaltung hatten eine liberale Perspektive eröffnet, mit der Absicht, die Nebel der Vergangenheit wegzufegen. Alfonso López Pumarejo, der bedeutendste von ihnen und ein risikofreudiger Reformer, ließ sich 1942 für eine zweite Periode wählen, und nichts schien den Rhythmus der Regierungswechsel zu bedrohen. So waren wir in meinem ersten Jahr am Liceo noch erfüllt von den Nachrichten vom Zweiten Weltkrieg, die uns in Atem hielten, wie es der nationalen Politik nie gelungen war. Zeitungen kamen nur in außergewöhnlichen Fällen in die Schule, da die Presse keinen Platz in unserer Gedankenwelt hatte. Es gab noch keine Kofferradios, und der einzige Rundfunkapparat war die alte Kiste im Lehrerzimmer, die wir um sieben Uhr abends auf volle Lautstärke drehten, aber nur, um zu tanzen. Uns lag der Gedanke fern, dass gerade zu jener Zeit der blutigste und irregulärste aller unserer Kriege ausgebrütet wurde.
Die Politik drang schubweise ins Internat. Wir teilten uns in liberale und konservative Gruppen auf und erfuhren erst dadurch, wer auf welcher Seite stand. Es entstand so etwas wie eine schulinterne Parteilichkeit, die am Anfang noch herzlich und etwas akademisch wirkte, aber zu eben der Stimmung degenerierte, die das Land zu vergiften begann. Die ersten Spannungen an der Schule waren kaum wahrnehmbar, doch niemand zweifelte am großen Einfluss von Carlos Martin, der einem Lehrerkollegium vorstand, das aus seiner ideologischen Einstellung nie ein Hehl gemacht hatte. Wenn der neue Rektor auch kein offensichtlicher Parteigänger war - laut einem unbestätigten Gerücht hatte er in seinem Büro ein Marx- oder Leninporträt hängen -, gab er doch die Erlaubnis, die Abendnachrichten im Radioapparat des Lehrerzimmers zu hören, und seitdem hatten die politischen Nachrichten Vorrang vor der Tanzmusik.
Der einzige Ansatz zu einer Meuterei in der Schule war wohl Folge der veränderteten Stimmung. Im Schlafsaal flogen Kopfkissen und Schuhe, was Lektüre und Schlaf abträglich war. Ich kann nicht mehr genau den Anlass rekonstruieren, glaube aber in Übereinstimmung mit einigen Mitschülern, dass es sich um irgendeine Episode in dem Buch handelte, das an jenem Abend vorgelesen wurde: Cantaclaro von Rómulo Gallegos. Eine merkwürdige Schlachtfanfare.
Carlos Martin, eilig herbeigerufen, betrat den Schlafsaal und lief mehrmals vom einen zum anderen Ende, inmitten des maßlosen Schweigens, das sein Auftauchen ausgelöst hatte. Daraufhin befahl er uns in einem Anfall von Autoritarismus, der für seinen Charakter ungewöhnlich war, den Schlafsaal in Pyjama und Pantoffeln zu verlassen und uns im eisigen Hof in Reih und Glied aufzustellen. Dort hielt er uns eine Standpauke im redundanten Stil des Catilina,
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