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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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gewaltsam an der Macht zu halten. Es wurde behauptet, dass das Drama ohne jede politische Absicht begonnen hatte, als ein peruanischer Fähnrich den Amazonas mit einer Militärpatrouille überquerte und am kolumbianischen Ufer die heimliche Braut des Bürgermeisters von Leticia, eine betörende Mulattin, entführte, die man La Pila, als Diminutiv von Pilar, nannte. Als der kolumbianische Bürgermeister die Entführung entdeckte, mobilisierte er einen Trupp bewaffneter Landarbeiter, der über den Grenzfluss setzte und das Mädchen auf peruanischem Territorium befreite. General Luis Miguel Sánchez Cerro, absoluter Diktator Perus, wusste dieses Scharmützel zu nutzen, er fiel in Kolumbien ein und versuchte die Amazonasgrenze zu Gunsten seines Landes zu verschieben.
    Präsident Enrique Olaya Herrera, dem von der konservativen Partei zugesetzt wurde, die nach einem halben Jahrhundert absoluter Herrschaft nun in der Opposition war, erklärte den Kriegszustand, ordnete die nationale Mobilmachung an, ließ das Heer durch Männer seines Vertrauens reinigen und setzte Truppen in Marsch, um die von den Peruanern besetzten Gebiete zu befreien. Ein Schlachtruf erschütterte das Land und heizte unsere Kindheit auf: »Es lebe Kolumbien, nieder mit Peru!« In der Erregung des Krieges gab es sogar das Gerücht, dass die zivilen Maschinen der SCADTA militärisch als Flugstaffel eingesetzt und mit Waffen ausgerüstet wurden und dass eines der Flugzeuge eine Osterprozession in der peruanischen Ortschaft Guepi in Ermangelung von Bomben mit einem Hagel von Kokosnüssen aufgelöst habe. Der große Schriftsteller Lozano y Lozano, den Präsident Olaya beauftragt hatte, ihn in diesem Krieg der wechselseitigen Lügen über die Wahrheit auf dem Laufenden zu halten, hat den Zwischenfall wahrheitsgemäß in seiner meisterhaften Prosa festgehalten, doch das Gerücht wurde noch lange für wahr gehalten. Dem peruanischen Diktator General Sánchez Cerro bot der Krieg natürlich eine glänzende Gelegenheit, sein Regime mit eiserner Hand zu festigen. Olaya Herrera ernannte seinerseits den konservativen General Alfredo Vásquez Cobo, der damals gerade in Paris war, zum Kommandeur der kolumbianischen Streitkräfte. Der General überquerte den Atlantik mit einem Panzerkreuzer und fuhr den Amazonas bis nach Leticia hinauf, als die Diplomaten beider Seiten den Krieg bereits eindämmten.
    Carlos Martin wurde als Rektor von Oscar Espitia Brand, einem professionellen Pädagogen und anerkannten Physiker, ersetzt. Obwohl das weder im Zusammenhang mit dem Putsch von Pasto noch mit dem Verbot unserer Zeitung stand, weckte die Ablösung allerlei Argwohn im Internat. Meine Ablehnung von Espitia Brand ging auf die erste Begrüßung zurück, bei der er ein deutliches Staunen über meine Dichtermähne und meinen ungezähmten Schnurrbart zeigte. Er wirkte hart und blickte einem gerade und streng in die Augen. Die Nachricht, er werde uns in organischer Chemie unterrichten, erschreckte mich vollends.
    An einem Sonnabend jenes Jahres saßen wir in der Nachmittagsvorstellung des Kinos, als plötzlich eine verstörte Stimme über Lautsprecher mitteilte, ein Schüler des Liceo sei tot. Die Nachricht war so beklemmend, dass ich nicht mehr weiß, welchen Film wir gerade sahen, aber ich werde nie die schauspielerische Intensität von Claudette Colbert vergessen, die sich vom Brückengeländer in einen reißenden Fluss stürzen wollte. Der Tote war ein sechzehnjähriger Schüler der zweiten Klasse, der gerade aus seiner fernen Heimatstadt Pasto, an der Grenze zu Ecuador, gekommen war. Er hatte während eines Dauerlaufs, den der Turnlehrer als Strafe für die Drückeberger am Wochenende angesetzt hatte, einen Atemstillstand erlitten. Es war der einzige Todesfall während meines Aufenthalts im Internat, und die Erschütterung war groß, nicht nur in der Schule, sondern in der ganzen Stadt. Meine Klassenkameraden erkoren mich dazu aus, ein paar Abschiedsworte bei der Beerdigung zu sagen. Am selben Abend noch bat ich um Audienz beim neuen Rektor, um ihm meine Trauerrede zu zeigen, und beim Eintreten in sein Büro schauderte es mich, war es doch wie eine übernatürliche Wiederholung meiner einzigen Begegnung mit dem inzwischen verstorbenen Rektor. Der Lehrer Espitia las mein Manuskript mit tragischer Miene und genehmigte es ohne weiteren Kommentar, als ich aber aufstand, um hinauszugehen, bedeutete er mir, mich wieder zu setzen. Er hatte Artikel und Gedichte von mir gelesen, die

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