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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Gerücht, Turbay sei der heimliche Liebhaber eines Hollywoodstars - Joan Crawford vielleicht oder Paulette Goddard -, doch er gab nie seine Laufbahn eines unbestechlichen Junggesellen auf.
    Die Wähler von Gaitán und die von Turbay hatten die Möglichkeit, eine liberale Mehrheit zu bilden und neue Wege innerhalb der Partei selbst einzuschlagen, keines der beiden Lager konnte jedoch die vereinten und bewaffneten Konservativen schlagen.
    Unsere Gaceta Literaria erschien in dieser schlechten Zeit. Als wir die erste Nummer in der Hand hielten, waren wir selbst überrascht von ihrer professionellen Aufmachung, acht Seiten im Boulevardformat, gut gestaltet und sauber gedruckt. Carlos Martin und Carlos Julio Calderon waren besonders enthusiastisch, und beide gaben in den Pausen Kommentare Zu einigen Artikeln ab. Den wichtigsten Beitrag hatte Carlos Martin auf unsere Bitte hin geschrieben. Erforderte ein mutiges und bewusstes Engagement im Kampf gegen den krämerischen Umgang mit Staatsinteressen, gegen die opportunistischen Streber in der Politik und gegen die Spekulanten, die eine freie Entwicklung des Landes behinderten. Der Artikel stand neben einem großen Porträt von Martin auf der ersten Seite. Dann gab es noch einen Beitrag von Convers über die Hispanität und ein Stück lyrischer Prosa von Javier Garcés, also von mir. Convers berichtete uns von der Begeisterung seiner Freunde in Bogotá und von möglichen Subventionen, mit denen man die Gaceta Literaria als schulübergreifende Zeitung groß herausbringen könnte.
    Die erste Nummer war noch nicht verteilt, als der Putsch von Pastos stattfand. An eben dem Tag, als der Ausnahmezustand erklärt wurde, fiel der Bürgermeister von Zipaquirá mit einem bewaffneten Trupp ins Liceo ein und beschlagnahmte die Exemplare, die zur Verteilung bereitlagen. Es war ein Überfall wie im Film und nur erklärlich durch irgendeine hinterhältige Denunziation, die Zeitung enthalte subversives Material. Am gleichen Tag noch kam eine Mitteilung des Pressebüros der Regierung, unsere Zeitung sei vor dem Druck nicht, wie der Ausnahmezustand es gebot, der Zensur vorgelegt worden, und Carlos Martin wurde ohne Vorankündigung als Rektor abgesetzt.
    Für uns war das eine völlig unsinnige Entscheidung, wir fühlten uns gedemütigt und zugleich wichtig. Die Zeitung war nur in einer Auflage von zweihundert Exemplaren gedruckt worden, für eine Distribution im Freundeskreis, doch man erklärte uns, im Ausnahmezustand sei die Zensur un-umgehbar. Die Lizenz wurde bis zu einer neuen Anordnung gesperrt, und die kam nie.
    Es vergingen mehr als fünfzig Jahre bis Carlos Martin mir - für diese Memoiren - das Geheimnis der absurden Episode enthüllte. Am Tag, an dem die Gaceta beschlagnahmt wurde, sei er zu Antonio Rocha, eben dem Erziehungsminister, der ihn ernannt hatte, zitiert worden, und dieser habe ihn um seine Demission gebeten. Carlos Martin traf ihn in seinem Arbeitszimmer mit einem Exemplar der Gaceta Literaria an, in dem der Minister mit Rotstift zahlreiche Sätze angestrichen hatte, die er für subversiv hielt. Ebenso war mit Martins Leitartikel verfahren worden, mit dem Beitrag von Convers und sogar mit dem Gedicht eines bekannten Autors, das der Erziehungsminister im Verdacht hatte, verschlüsselt geschrieben zu sein. »Selbst die Bibel könnte mit so böswilligen Unterstreichungen das Gegenteil von ihrem wirklichen Sinn ausdrücken«, tobte Carlos Martin erregt, worauf der Minister damit drohte, die Polizei zu rufen. Martin wurde dann zum Leiter der Zeitschrift Sábado berufen, was für einen Intellektuellen wie ihn als Aufstieg zu den Sternen betrachtet werden konnte. Dennoch blieb ihm stets das Gefühl, Opfer einer Verschwörung der Rechten gewesen zu sein. In einem Café von Bogotá wurde er tätlich angegriffen, und er hätte fast mit der Schusswaffe darauf reagiert. Ein neuer Minister ernannte ihn später zum Chefanwalt der Rechtsabteilung, und er machte eine brillante Karriere, die Erfüllung im Ruhestand fand, in dem er sich in seinem friedlichen Port in Tarragona von Büchern und nostalgischen Erinnerungen umgab.
    Zu eben der Zeit von Martins Absetzung - und keineswegs in Zusammenhang damit - ging sowohl im Liceo wie in den Häusern und Kneipen der Stadt eine Deutung des Peru-Kriegs auf abgezogenen Blättern um, für die niemand verantwortlich zeichnete. Demnach war dieser Krieg eine List der liberalen Regierung, um sich 1932 gegen die wüste Opposition der Konservativen

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