Leben, um davon zu erzählen
zusammengebunden, und es reichte nicht einmal die Zeit, die Seiten unter Dampf glatt zu bügeln, weil die Frist ablief. Also reichte ich den Roman ein, ohne jede Hoffnung auf den Preis, mit dem man ein Haus hätte kaufen können. Doch in eben dem Zustand, in dem die illustre Jury ihn bekam, wurde er am 16. April 1962 zum Sieger des Wettbewerbs erklärt, fast zur selben Stunde, in der Gonzalo, unser zweiter Sohn, gewissermaßen mit einem Brot unter dem Arm, geboren wurde.
Wir hatten noch nicht einmal Zeit gehabt, uns an das Glück zu gewöhnen, als ich einen Brief von Pater Felix Restrepo, dem Präsidenten der kolumbianischen Akademie für Sprache, bekam. Der rechtschaffene Mann hatte der Jury vorgesessen, kannte aber den Titel des Romans nicht. Erst da bemerkte ich, dass ich in der Hast vergessen hatte, ihn auf die erste Seite zu schreiben: Dieses Scheißdorf.
Pater Restrepo war entsetzt und bat mich über Germán Vargas auf das Höflichste, den Titel doch durch einen zu ersetzen, der weniger brutal war und eher der Atmosphäre des Buchs entsprach. Nachdem ich mich mehrmals mit ihm ausgetauscht hatte, entschied ich mich für einen Titel, der vielleicht nicht viel über das Drama aussagte, unter dessen Flagge der Roman jedoch die Meere der Bigotterie befahren konnte: Die böse Stunde.
Eine Woche später ließ mich Dr. Carlos Arango Vélez, kolumbianischer Botschafter in Mexiko und Präsidentschaftskandidat, in sein Büro kommen, um mir mitzuteilen, dass Pater Restrepo mich flehentlich darum bitte, zwei Wörter auszutauschen, die in einem prämierten Text unvertretbar seien: »Präservativ« und »Masturbation«. Weder der Botschafter noch ich konnten unser Befremden verhehlen, waren uns aber darüber einig, dass man Pater Restrepo den Gefallen tun müsse, um den endlosen Wettbewerb mit einer gelassenen Lösung glücklich zu Ende bringen.
»Gut, Herr Botschafter«, sagte ich. »Ich werde eines der beiden Wörter streichen, aber Sie werden freundlicherweise entscheiden, welches.«
Mit einem Seufzer der Erleichterung strich der Botschafter »Masturbation«. Der Konflikt war damit beigelegt, und das Buch wurde vom Verlag Iberoamericana in Madrid in hoher Auflage publiziert und groß herausgebracht. Es war in Leder gebunden und auf sehr gutem Papier tadellos gedruckt. Das Flitterwochengefühl war jedoch nur von kurzer Dauer, weil ich nicht der Versuchung widerstehen konnte, darin herumzustöbern, wobei ich entdeckte, dass der Roman, den ich in meinem Indio-Dialekt geschrieben hatte, in die reinste Madrider Sprache übertragen worden war, wie man es damals auch bei Filmen machte.
Mir standen die Haare zu Berge, als ich die Transkription des spanischen Lektors las. Ein besonders gravierendes Beispiel waren die Ermahnungen eines Priesters, bei denen der kolumbianische Leser nun denken musste, ich hätte den Geistlichen damit augenzwinkernd als Spanier charakterisieren wollen, was dessen Verhalten in ein anderes Licht getaucht und einen wesentlichen Aspekt des Dramas verzerrt hätte. Der Lektor hatte sich nicht damit zufrieden gegeben, die Grammatik der Dialoge zu frisieren, er hatte sich auch am Stil vergriffen und das Buch mit Madrider Flicken voll gekleistert, die nichts mit dem Original zu tun hatten. Also blieb mir nichts anderes übrig, als diese Fassung für nicht autorisiert zu erklären und zu fordern, dass die noch unverkauften Exemplare eingezogen und eingestampft würden. Die Antwort der Verantwortlichen war absolutes Schweigen.
Von dem Augenblick an habe ich den Roman als unveröffentlicht angesehen und mich der mühsamen Aufgabe gewidmet, ihn in meinen karibischen Dialekt zurückzuübersetzen, da es nur ein Originalmanuskript gegeben hatte, das ich zu dem Wettbewerb eingereicht hatte und das dann nach Madrid an den Verlag geschickt worden war. Nachdem der Originaltext wieder hergestellt und dabei noch einmal von mir überarbeitet worden war, wurde er von dem mexikanischen Verlag Era veröffentlicht, mit dem gedruckten und ausdrücklichen Hinweis, dass es sich um die Erstausgabe handele.
Ich habe nie gewusst, warum Die böse Stunde das einzige meiner Bücher ist, das mich in seine Zeit und an seinen Ort zurückversetzt, in eine Mondnacht mit frühlingshaften Winden.
Es war an einem Sonnabend, und es hatte aufgeklart, und am Himmel war für all die Sterne kaum Platz. Die Uhr hatte gerade elf geschlagen, als ich meine Mutter im Esszimmer ein Liebeslied summen hörte, mit dem sie das Kind, das sie in den
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