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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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ungeheuren Kostenaufwand nach dem pompösen ästhetischen Geschmack von Außenminister Laureano Gómez verschönt worden, der kraft seines Amts Präsident der Konferenz war. Die Außenminister aller lateinamerikanischen Länder und bekannte Persönlichkeiten des Zeitgeschehens nahmen teil. Die wichtigsten kolumbianischen Politiker waren als Ehrengäste geladen - mit einer einzigen, bedeutsamen Ausnahme: Jorge Eliécer Gaitán, der zweifelsohne durch das gewichtige Veto von Laureano Gómez ausgeschlossen worden war, vielleicht mit Einverständnis gewisser liberaler Führer, die ihn wegen seiner Attacken gegen die in beiden Parteien vertretene Oligarchie verabscheuten. Der Polarstern der Konferenz war General George Marshall, größter Held des noch nicht lange beendeten Zweiten Weltkriegs, Delegierter der Vereinigten Staaten, der in seiner tragenden Rolle beim Wiederaufbau eines vernichteten Europas die leuchtende Ausstrahlung eines Filmschauspielers hatte.
    Am Freitag, den 9. April war jedoch Jorge Eliécer Gaitán der Mann des Tages, da er einen Freispruch für Oberleutnant Jesus Maria Cortés Poveda erreicht hatte, der angeklagt war, den Journalisten Eudoro Galarza Ossa getötet zu haben. Obwohl Gaitán bis spät in die Nacht im Gericht gewesen war, kam er kurz vor acht euphorisch in sein Anwaltsbüro an der belebten Kreuzung Carrera Séptima und Avenida Jiménez de Quesada. Er hatte mehrere Termine in den nächsten Stunden, nahm aber die Essenseinladung von Plinio Mendoza Neira an, der kurz vor eins mit sechs persönlichen und politischen Freunden in Gaitáns Büro gekommen war, um ihm zu dem Sieg vor Gericht zu gratulieren, über den noch nichts in den Zeitungen stehen konnte. Unter den Besuchern war Pedro Eliseo Cruz, Gaitáns Hausarzt, der auch zu Gaitáns politischer Entourage gehörte.
    Die Atmosphäre in der Stadt war am 9. April aufgeladen. Um ein Uhr setzte ich mich in das noch leere Esszimmer meiner Pension, die keine vier Straßen entfernt von der berühmten Kreuzung lag. Man hatte mir noch nicht die Suppe serviert, als Wilfrido Mathieu verstört vor meinem Tisch stand.
    »Das Land ist im Eimer«, sagte er, »sie haben Gaitán umgebracht, eben gerade, vor dem Gato Negro.«
    Mathieu war ein vorbildlicher Medizinstudent, aus Sucre gebürtig wie mehrere der Pensionsgäste, und er litt an unheilvollen Vorahnungen. Es war noch keine Woche her, dass er uns verkündet hatte, die Ermordung von Jorge Eliécer Gaitán könne unmittelbar bevorstehen und verheerende Folgen seien zu befürchten. Das beeindruckte allerdings niemanden, weil es keiner Vorahnungen bedurfte, um dergleichen zu vermuten.
    Ich bekam kaum Luft, als ich über die Avenida Jiménez de Quesada stürzte, und erreichte atemlos das Café Gato Negro, das fast an der Ecke der Carrera Séptima lag. Der Verletzte war gerade in die vier Straßen entfernte Clínica Central gebracht worden, er hatte noch gelebt, es gab aber keine Hoffnung für ihn. Mehrere Männer tränkten in der warmen Blutlache ihre Taschentücher, um sie als historische Reliquien aufzubewahren. Eine Frau mit schwarzem Umschlagtuch und Hanfschuhen, eine von den vielen, die billigen Krimskrams in der Umgebung verkauften, grollte, das blutige Taschentuch in der Hand,:
    »Hurensöhne, ihr habt ihn mir umgebracht.«
    Ein Trupp von Schuhputzern schlug mit ihren Holzkisten gegen das Metallgitter der Apotheke Nueva Granada, in der die paar Wachpolizisten den Attentäter eingesperrt hatten, um ihn vor der aufgeputschten Menge zu schützen. Ein großer, selbstgewiss wirkender Mann, der wie für eine Hochzeit in einen makellosen grauen Anzug gekleidet war, feuerte sie mit gezielten Schreien an. Die waren so effektiv, dass der Besitzer der Apotheke, aus Furcht, man werde Feuer legen, die Gitter-Jalousie hochzog. Der Täter, der sich an einen Polizisten klammerte, wurde angesichts der aufgeputschten Horde, die auf ihn zustürzte, von Panik gepackt.
    »Lassen Sie nicht zu, dass die mich töten«, flehte er fast tonlos den Polizisten an.
    Ich werde es nie vergessen. Der Mann hatte zerzaustes Haar und einen Zweitagebart, das Gesicht war totenbleich, und in seinen Augen stand das Entsetzen. Er trug einen abgetragenen braun gestreiften Tuchanzug, dessen Revers die Meute schon bei den ersten Angriffen eingerissen hatte. Eine flüchtige Erscheinung für die Ewigkeit, weil die Schuhputzer mit ihren Kisten schlagend die Polizisten abdrängten und dann den Mann zu Tode trampelten. Bei dem ersten harten Tritt

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