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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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zu verschieben. Jedes Mal, wenn mein Bruder und ich, zusammen oder getrennt, am Pfandhaus vorbeikamen, vergewisserten wir uns von der Straße aus, dass die Maschine, wie ein Schmuckstück in Zellophanpapier gewickelt und mit einer Organdyschleife versehen, noch an ihrem Platz inmitten von Reihen gut geschützter Hausgeräte stand. Nach einem Monat waren die fröhlichen Berechnungen, die wir in der Euphorie des Rauschs angestellt hatten, noch nicht aufgegangen, doch die Maschine stand immer noch unberührt an ihrem Platz und konnte da auch weiter stehen, solange wir rechtzeitig die dreimonatlichen Zinsen zahlten.
    Ich glaube, wir waren uns damals der schrecklichen politischen Spannungen, die das Land mehr und mehr zerrütteten, noch nicht richtig bewusst. Auch wenn Ospina Pérez mit dem guten Ruf eines gemäßigten Konservativen an die Macht gelangt war, wusste die Mehrheit seiner Partei, dass nur die Spaltung der Liberalen den Sieg ermöglicht hatte. Diese wiederum, wie betäubt von dem Schlag, warfen Alberto Lleras seine selbstmörderische Unparteilichkeit vor, die eine Niederlage erst denkbar gemacht hatte. Dr. Gabriel Turbay, der mehr unter seinem depressiven Gemüt als unter den Gegenstimmen litt, war ohne Sinn und Ziel unter dem Vorwand, sich als Herzspezialist fortbilden zu lassen, nach Europa gegangen, wo er anderthalb Jahre später allein und vom Asthma besiegt inmitten der Papierblumen und der verblichenen Gobelins des Hotels Place Athénée in Paris starb. Jorge Eliécer Gaitán hingegen unterbrach keinen Tag lang seine Kampagne für die nächste Amtsperiode, radikalisierte den Wahlkampf vielmehr gründlich mit einem Programm zur moralischen Restauration der Republik, das die historische Aufteilung des Landes in Liberale und Konservative überwand, um sie mit einem horizontalen und realistischeren Schnitt zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zu vertiefen: Es ging um die politische Elite und die Nation als Ganzes. Mit seinem historischen Ausruf - »Auf zum Angriff!« - und seiner übernatürlichen Energie streute er die Saat des Widerstands bis in die letzten Winkel des Landes. Mit seiner gigantischen Agitationskampagne gewann er in weniger als einem Jahr immer mehr an Boden und führte das Land bis an die Schwelle einer echten sozialen Revolution.
    Erst da wurde uns bewusst, dass das Land in den Abgrund eben jenes Bürgerkriegs zu stürzen drohte, der uns seit der Unabhängigkeit von Spanien begleitet hatte und nun bereits die Urenkel der ursprünglichen Protagonisten ereilte. Die konservative Partei, die wegen der Spaltung der Liberalen das Präsidentenamt nach vier liberalen Amtsperioden zurückerobert hatte, war entschlossen, es um keinen Preis wieder zu verlieren. Zu diesem Zweck verfolgte die Regierung von Ospina Pérez eine Politik der verbrannten Erde, wodurch das Land bis hinein ins Alltagsleben der Familien in Blut getaucht wurde.
    Auf literarischen Wolken schwebend hatte ich in meiner politischen Ahnungslosigkeit diese offenkundigen Tatsachen nicht wahrgenommen, bis ich eines Nachts auf dem Rückweg zur Pension dem Gespenst meines Gewissens begegnete. Die leere Stadt, vom eisigen Wind gepeitscht, der durch die Scharten der Bergkette wehte, war erfüllt von der metallischen Stimme mit dem emphatisch eingesetzten Unterschichtklang: Gaitán hielt seine obligate Freitagsrede im Teatro Municipal. Der Raum bot höchstens tausend eng gedrängten Menschen Platz, die Rede verbreitete sich jedoch in konzentrischen Wellen, erst über Lautsprecher in die Nebenstraßen und dann über die voll aufgedrehten Radioapparate, und sie hallte wie Peitschenhiebe in der sprachlosen Stadt wider und überflutete drei bis vier Stunden lang die ganze zuhörende Nation.
    In jener Nacht hatte ich den Eindruck, der einzige Mensch auf den Straßen zu sein, nur an der entscheidenden Ecke der Zeitung El Tiempo stand wie jeden Freitag ein kriegerisch bewaffneter Polizeitrupp. Es war eine Offenbarung für mich, dass ich zu arrogant gewesen war, Gaitán Glauben zu schenken, und ich begriff nun, dass er das spanische Kolumbien hinter sich gelassen hatte und dabei war, eine Lingua franca für alle zu erfinden, nicht so sehr mit dem, was er sagte, sondern mit seiner aufrührerischen und listenreichen Stimme. In seinen epischen Reden empfahl er den Zuhörern in durchtrieben väterlichem Ton, friedlich heimzugehen, und sie verstanden es richtig als den verschlüsselten Befehl, ihre Ablehnung gegen all das kundzutun, was die soziale

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