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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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schienen aber eher in Urlaubsstimmung als in Trauer zu sein und unterbrachen ihr Lied nicht. Später setzten wir uns zum Essen in den leeren Speisesaal, überzeugt davon, dass es damit sein Bewenden haben würde, bis jemand das Radio laut stellte, damit die Gleichgültigen zuhörten. Carlos H. Pareja machte seiner Aufforderung an mich eine Stunde zuvor alle Ehre, indem er die Konstituierung einer revolutionären Regierungsjunta verkündete, die aus bedeutenden Linksliberalen bestand, darunter der berühmte Schriftsteller und Politiker Jorge Zalamea. Die ersten Maßnahmen waren die Bildung eines Exekutivkomitees, eines Kommandos der Staatspolizei und aller anderen Organe eines revolutionären Staates. Nach ihm sprachen die übrigen Juntamitglieder und gaben immer maßlosere Parolen aus.
    Angesichts der Feierlichkeit dieses Aktes fragte ich mich zuerst, was wohl mein Vater denken würde, wenn er erfuhr, dass sein Vetter, der harte Konservative, Führer einer Revolution der extremen Linken war. Die Pensionswirtin staunte in Anbetracht der gewichtigen, mit der Universität verbundenen Namen darüber, dass diese Männer sich nicht wie Professoren, sondern wie aufmüpfige Studenten gebärdeten. Man musste auf der Radioskala aber nur zwei Zahlen weiter drehen, um einem anderen Land zu begegnen. In Radio Nacional riefen die staatstragenden Liberalen zur Ruhe auf, bei anderen Rundfunkstationen wurde gegen moskautreue Kommunisten gewettert, während die obersten Funktionäre des Liberalismus sich den Gefahren der Straßenschlachten aussetzten, um zum Präsidentenpalast vorzudringen, wo sie mit der konservativen Regierung einen Kompromiss zur Einheit aushandeln wollten.
    Wir waren noch wie betäubt von dem ganzen wahnwitzigen Durcheinander, als der Sohn der Wirtin plötzlich schrie, das Haus brenne. Tatsächlich hatte sich im hinteren Teil des Gebäudes ein Riss im Mauerwerk aufgetan, durch den dicker schwarzer Rauch quoll, der die Luft in den Zimmern verpestete. Er kam zweifellos von der benachbarten Bezirksverwaltung, die von den Demonstranten angezündet worden war, die Mauer schien jedoch stark genug, das auszuhalten. Wir sprangen in großen Sätzen die Treppe hinunter und befanden uns in einer Stadt im Krieg. Die rabiaten Angreifer warfen alles, was sie in den Büros der Bezirksverwaltung vorfanden, aus den Fenstern. Der Rauch von den Bränden hatte die Luft vernebelt, darüber hing wie eine unheilvolle Decke der wolkendunkle Himmel. Fanatische Horden, bewaffnet mit Macheten und allerlei Werkzeug, das sie aus den Eisenwarenhandlungen gestohlen hatten, überfielen mit der Unterstützung von meuternden Polizisten die Geschäfte in der Carrera Séptima und den Nebenstraßen und steckten sie in Brand. Ein kurzer Blick genügte, wir sahen, die Lage war außer Kontrolle. Mein Bruder kam meinem Gedanken mit einem Schrei zuvor:
    »Scheiße! Die Schreibmaschine!«
    Wir rannten zum Pfandhaus, das hinter wohlgeschlossenen Eisenjalousien noch unbeschädigt war, doch die Maschine stand nicht dort, wo sie immer gestanden hatte. Wir machten uns nicht weiter Sorgen, weil wir dachten, dass wir sie in den nächsten Tagen zurückbekommen könnten, ohne zu bedenken, dass es bei solch einer kolossalen Katastrophe keine nächsten Tage geben würde.
    Die Militärgarnison von Bogotá beschränkte sich darauf, die Staatsgebäude und die Banken zu schützen, und für die öffentliche Ordnung war keiner mehr verantwortlich. Viele ranghohe Polizisten hatten sich seit den ersten Stunden im Quartier der Fünften Division verbarrikadiert und zahlreiche Straßenpolizisten folgten ihnen mit ganzen Ladungen auf der Straße eingesammelter Waffen. Mehrere von ihnen, am Arm die rote Binde der Aufständischen, feuerten ihr Gewehr so nah von uns ab, dass es in meiner Brust dröhnte. Seitdem bin ich davon überzeugt, dass ein Gewehr mit dem bloßen Knall töten kann.
    Auf dem Rückweg vom Pfandhaus sahen wir, wie binnen Minuten die teuersten Geschäfte der Stadt in der Carrera Octava verwüstet wurden. Der exquisite Schmuck, die Hüte aus der Bond Street, das englische Tuch, die wir karibischen Studenten als unerreichbar in den Schaufenstern bewundert hatten, waren nun für jeden zugänglich, vor den Augen der gleichmütigen Soldaten, die nur die ausländischen Banken bewachten. Das feine Café San Marino, in das wir nie hineingekommen waren, stand offen und ausgeweidet da, diesmal ohne die Kellner im Smoking, die den Eintritt von karibischen Studenten schon im

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