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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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riesengroß das Gesicht des Sterbenden, der sich zu mir geschleppt und eine unmögliche Hilfe erfleht hatte. Die Hatz in den Straßen ließ nach, und in der schrecklichen Stille hörte man nur die vereinzelten Schüsse der zahllosen Heckenschützen, die sich über das ganze Zentrum verteilt hatten, und den Lärm der Truppen, die nach und nach jede Spur des bewaffneten oder unbewaffneten Widerstandes auslöschten, um die Stadt in ihre Gewalt zu bringen. Erschüttert von dieser Todeslandschaft drückte Onkel Juanito mit einem einzigen Seufzer aus, was wir alle fühlten:
    »Du lieber Gott, das ist wie ein Traum!«
    Zurück im dämmrigen Salon sackte ich auf dem Sofa zusammen. Die von der Regierung besetzten Sender verbreiteten in offiziellen Bulletins den Eindruck einkehrender Ruhe. Es gab keine Reden mehr, und man konnte nicht mehr genau die Staatssender von denen unterscheiden, die noch in der Hand der Aufständischen waren, und auch deren Aussagen waren in der unaufhaltsamen Flut der Latrinengerüchte nicht mehr zu erkennen. Es hieß, dass alle Botschaften mit Flüchtlingen überfüllt seien und dass General Marshall in der nordamerikanischen Botschaft von einer Ehrengarde der Militärakademie geschützt werde. Auch Laureano Gómez hatte in den ersten Stunden des Aufstands dort Zuflucht gesucht und mehrmals mit seinem Präsidenten telefoniert, um zu verhindern, dass dieser mit den Liberalen in einer Situation verhandelte, die Gómez für kommunistisch gesteuert hielt. Expräsident Alberto Lleras, damals Generalsekretär der Union Panamericana, war wie durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen, als er beim Verlassen des Capitolio in einem ungepanzerten Wagen erkannt wurde und man ihn für die legale Übergabe der Macht an Ospina Pérez büßen lassen wollte. Die Mehrzahl der Delegierten der Panamerikanischen Konferenz war gegen Mitternacht in Sicherheit.
    Zwischen den vielen widersprüchlichen Nachrichten wurde mitgeteilt, dass Guillermo León Valencia, Sohn des gleichnamigen Dichters, gesteinigt worden sei und man die Leiche an der Plaza de Bolívar aufgehängt habe. Doch sobald das Heer die von den Rebellen besetzten Rundfunksender zurückerobert hatte, stellte sich der Eindruck ein, dass die Regierung die Lage kontrollierte. Statt Kriegserklärungen auszustrahlen, versuchte man mit der Nachricht, dass die Regierung die Lage im Griff habe, das Land zu beruhigen, während die Führungsspitze der Liberalen unter dem Juristen Darío Echandía noch mit der Regierung um die Hälfte der Macht verhandelte.
    Eigentlich schienen nur die Kommunisten mit einer politischen Zielvorstellung zu agieren: eine exaltierte Minderheit, die mitten im Tohuwabohu der Straßen die Menge wie Verkehrspolizisten zu den Zentren der Macht dirigierte. Dagegen bewies der Liberalismus, dass er in zwei Hälften zerfiel, wie es schon Gaitán in seiner Wahlkampagne angeprangert hatte: auf der einen Seite die Führer, die im Präsidentenpalais um einen Anteil an der Macht feilschten, auf der anderen ihre Wähler, die auf Türmen und Dachterrassen, so lange und so gut sie konnten, Widerstand leisteten.
    Die ersten Zweifel, die im Zusammenhang mit dem Tod von Gaitán auftauchten, betrafen die Identität des Täters. Noch heute gibt es keine völlige Übereinstimmung darüber, ob Juan Roa Sierra, der einsame Pistolenschütze, der aus der Menschenmenge auf der Carrera Séptima auf Gaitán schoss, allein verantwortlich für den Mord war. Es ist nicht ohne weiteres zu begreifen, dass er aus eigenem Antrieb gehandelt haben soll, da er offensichtlich zu unselbständig und nur mangelhaft politisch informiert gewesen ist, um von sich aus diesen folgenreichen Tod zu planen und an jenem Tag, zu jener Stunde, an jenem Ort und auf eben diese Weise auszuführen. Seine Mutter Encarnacion Sierra, verwitwete Roa, zweiundfünfzig Jahre alt, hörte im Radio vom Tod ihres politischen Helden Gaitán und machte sich daran, ihr bestes Kleid schwarz zu färben, um ihn zu betrauern. Sie war noch nicht damit fertig, als sie hörte, dass der Mörder Juan Roa Sierra war, das dreizehnte ihrer vierzehn Kinder. Keines war über die Grundschule hinausgekommen, und vier von ihnen - zwei Jungen und zwei Mädchen -waren gestorben.
    Sie erklärte vor Gericht, dass sie seit etwa acht Monaten seltsame Veränderungen in Juans Verhalten beobachtet hatte. Er hatte Selbstgespräche geführt, grundlos gelacht und eines Tages seiner Familie gestanden, dass er glaube, die Inkarnation des

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