Leben, um davon zu erzählen
in Zweiergruppen, worauf sie entschieden, dass dann keiner zum Gespräch käme. Der Präsident gab nach, dennoch fassten die Liberalen den Vorgang als wenig ermutigend auf.
Der Präsident saß am Kopfende eines langen Konferenztischs, in einem makellosen Anzug und ohne jedes Anzeichen von Unruhe. Eine gewisse Anspannung verriet nur die Art, wie er rauchte, andauernd und gierig, und dass er manchmal eine erst halb gerauchte Zigarette ausdrückte, um eine neue anzuzünden. Einer der Besucher erzählte mir Jahre später, wie sehr ihn der Widerschein der Brände auf dem platinfarbenen Haar des gleichmütigen Präsidenten beeindruckt habe. Durch die großen Fenster des Präsidentenbüros waren bis ans Ende der Welt die glimmenden Trümmer unter einem glühenden Himmel zu sehen.
Von dieser Audienz wissen wir nicht viel; die Protagonisten haben nur wenig darüber erzählt, es gab ein paar Indiskretionen Einzelner und viele Phantasien anderer, sowie die stückweise Rekonstruktion jener unheilvollen Tage, die der Dichter und Geschichtsschreiber Arturo Alape geleistet hat. Seiner Arbeit ist auch die Darstellung der Ereignisse in diesen Memoiren in wesentlichen Teilen verpflichtet.
Die Besucher waren Luis Cano, Direktor der liberalen Abendzeitung El Espectador, Plinio Mendoza Neira, der die Versammlung angeregt hatte, und drei weitere aktive junge liberale Politiker: Carlos Lleras Restrepo, Darío Echandía und Alfonso Araujo. Im Laufe der Diskussion kamen zeitweise noch andere prominente Liberale dazu.
Demzufolge, was mir Jahre später Plinio Mendoza Neira in seinem ungeduldigen Exil in Caracas mit aller Klarsicht erzählte, hatte keiner von ihnen schon einen ausgearbeiteten Plan. Mendoza Neira war als Einziger Zeuge des Mordes an Gaitán gewesen, und er berichtete bei der Audienz davon, Schritt für Schritt, mit der Gabe eines geborenen Erzählers und chronischen Journalisten. Der Präsident hörte ihm mit feierlicher Aufmerksamkeit zu und forderte am Ende die Anwesenden auf, ihre Vorschläge für eine gerechte und patriotische Lösung in dieser extremen Notlage zu unterbreiten.
Mendoza, der bei Freunden und Feinden für seine offene, unverschnörkelte Art bekannt war, erklärte, das Sinnvollste sei, die Macht an die Streitkräfte zu delegieren, weil das Volk ihnen in diesem Augenblick am meisten vertraute. Es war noch nicht lange her, dass Mendoza unter der liberalen Regierung von Alfonso López Pumarejo Verteidigungsminister gewesen war, er kannte sich innerhalb des Militärs gut aus und meinte, dass es nur den Offizieren gelingen könne, das Land wieder in die Normalität zu führen. Der Präsident hielt diesen Plan jedoch nicht für realistisch, und selbst die Liberalen stellten sich nicht dahinter.
Als Nächster sprach Don Luis Cano, der für seine vorzügliche Umsicht wohl bekannt war. Er hegte fast väterliche Gefühle für den Präsidenten und beschränkte sich darauf, seine Mitwirkung bei jeder schnellen und gerechten Lösung anzubieten, für die Ospina sich mit Unterstützung der Mehrheit entscheiden würde. Dieser versicherte, er werde die unerlässlichen Maßnahmen zur Rückkehr in die Normalität ergreifen, dabei jedoch stets die Verfassung achten. Und während er aus dem Fenster auf die Hölle zeigte, von der die Stadt verschlungen wurde, erinnerte er die Anwesenden mit kaum verhohlener Ironie daran, dass dies nicht die Regierung verursacht habe.
Der Präsident war berühmt für seine gemessene Art und sein höfliches Benehmen, die ganz im Gegensatz zu den lauten Ausbrüchen von Laureano Gómez und der Hoffart anderer, auf taktische Manöver spezialisierter Parteifreunde standen. In jener historischen Nacht zeigte er jedoch, dass er entschlossen war, genauso hartnäckig wie diese zu sein. Also ging die Diskussion ohne jegliche Übereinkunft bis Mitternacht weiter, mit einigen Unterbrechungen, wenn Doña Bertha de Ospina mit neuen und noch schrecklicheren Nachrichten hereinkam.
Zu diesem Zeitpunkt konnte man sich schon keine Vorstellung mehr von der Zahl der Toten auf der Straße machen, von den Heckenschützen in unerreichbaren Stellungen und den Menschenmassen, die von Schmerz, Wut und den teuren alkoholischen Getränken aus den geplünderten Luxusgeschäften aufgeputscht waren. Denn das Zentrum der Stadt war zerstört und stand noch in Flammen, und nicht nur die eleganten Läden waren verwüstet oder brannten, sondern auch der Justizpalast, die Bezirksverwaltung und viele andere historische Gebäude.
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