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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Übermittlungsdienst im Äther ein, und wer Glück hatte, erwischte die ihm zugedachte Nachricht. Dieser Weg erschien uns am einfachsten und verlässlichsten, und wir vertrauten uns ihm ohne allzu große Hoffnung an.
    Nach dem wir drei Tage eingesperrt gewesen waren, gingen mein Bruder und ich auf die Straße. Es war ein entsetzlicher Anblick. Die Stadt lag in Schutt unter einer trüben Wolkendecke, und es regnete ununterbrochen, wodurch die Brände zurückgedrängt, aber auch die Aufräumarbeiten verzögert worden waren. Viele Straßen im Zentrum waren wegen der Nester von Heckenschützen auf den Dächern abgesperrt, und man musste auf Befehl der Militärpatrouillen, die wie für einen Weltkrieg bewaffnet waren, unsinnige Umwege machen. Der Gestank des Todes auf der Straße war unerträglich. Die Lastwagen des Heeres hatten noch nicht all die Leichenhaufen auf den Gehsteigen abtransportieren können, und die Soldaten wurden mit ganzen Gruppen von verzweifelten Menschen konfrontiert, die ihre Angehörigen identifizieren wollten.
    Zwischen den Ruinen des einstigen Geschäftszentrums konnte man wegen des pestilenzialischen Gestanks nicht mehr atmen, so dass viele Familien die Suche einstellen mussten. In einer der großen Leichenpyramiden fiel ein Leichnam auf, der barfuß und ohne Hose, aber mit einem tadellosen Jacket bekleidet war. Noch drei Tage später atmete die Asche den Gestank der verwesenden Toten aus, die zwischen den Trümmern oder auf den Gehsteigen gestapelt lagen und nach denen niemand fragte.
    Völlig unverhofft wurden mein Bruder und ich von dem unverwechselbaren Schnappen eines Gewehrschlosses hinter uns und einem schneidenden Befehl gestoppt:
    »Hände hoch!«
    Ich hob sie, ohne zu überlegen, und erstarrte vor Angst, bis rnich das Gelächter unseres Freundes Angel Casij, der als Reservist erster Klasse dem Aufruf der Streitkräfte gefolgt war, wieder ins Leben zurückholte. Mit seiner Hilfe gelang es uns allen, die wir bei Onkel Juanito Zuflucht gefunden hatten, nach einem Tag Wartezeit vor dem Gebäude von Radio Nacional eine Nachricht in den Äther zu senden. Mein Vater hörte sie in Sucre unter den zahllosen Botschaften, die zwei Wochen lang Tag und Nacht verlesen wurden. Mein Bruder und ich, dem Hang der Familie zu abwegigen Mutmaßungen unrettbar verfallen, befürchteten, dass unsere Mutter die Nachricht als eine barmherzige List von Freunden verstehen könnte, die sie auf Schlimmeres vorbereiten wollten. Wir lagen damit kaum falsch: Schon in der ersten Nacht hatte unsere Mutter geträumt, dass ihre beiden Ältesten bei den Unruhen in einem Meer von Blut ertrunken wären. Der Albtraum war wohl so überzeugend, dass sie, als die Wahrheit sie über andere Kanäle erreichte, entschied, dass keiner von uns je wieder nach Bogotá gehen dürfe, selbst wenn wir deshalb zu Hause verhungern müssten. Es muss sich um eine endgültige Entscheidung gehandelt haben, denn in ihrem ersten Telegramm übermittelten uns die Eltern nur einen Befehl: Wir sollten umgehend nach Sucre kommen, um die Zukunft neu zu bestimmen.
    In der angespannten Wartezeit hatten mehrere Kommilitonen mir in leuchtenden Farben die Möglichkeit ausgemalt, in Cartagena de Indias weiterzustudieren, da sie davon ausgingen, dass Bogotá zwar aus dem Schutt auferstehen würde, die Bogotáner sich jedoch nie von dem Schrecken und dem Grauen des Gemetzels erholen würden. Cartagena hatte eine hundertjährige Universität, ebenso berühmt wie die historischen Reliquien der Stadt, und eine juristische Fakultät mit menschlichem Maß, wo man meine eher schlechten Noten der Universidad Nacional als gut ansehen würde.
    Ich wollte den Gedanken nicht ausschließen, ihn aber zuvor einer Feuerprobe aussetzen und ihn meinen Eltern gegenüber erst dann erwähnen, wenn ich ihn persönlich überprüft hätte. Ich kündigte ihnen nur an, ich würde per Flugzeug über Cartagena nach Sucre kommen, da die Magdalena-Route bei dem heißen Krieg selbstmörderisch sein könnte. Luis Enrique ließ die Eltern seinerseits wissen, dass er sich eine Arbeit in Barranquilla suchen werde, sobald er mit seinem Arbeitgeber in Bogotá abgerechnet habe.
    Ich wusste jedenfalls, dass ich nirgendwo Rechtsanwalt sein würde. Ich wollte nur noch ein wenig Zeit gewinnen, um meine Eltern abzulenken, und Cartagena war womöglich eine gute Zwischenstation zum Nachdenken. Nie wäre mir eingefallen, dass diese vernünftige Erwägung mich dazu bringen würde, aus innerstem Herzen zu

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