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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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entscheiden, dass ich dort weiterleben wollte.
    In jenen Tagen fünf Plätze in einem bestimmten Flugzeug zu irgendeinem Ort an der Küste zu bekommen war eine Herausforderung für meinen Bruder. Nach endlosem gefährlichen Schlangestehen und einem ganzen Tag hastigen Hin-und Hergerennes auf einem Notflughafen inmitten von unsichtbaren Schusswechseln und Explosionen hatte er fünf Plätze in drei unterschiedlichen Maschinen ergattert. Meinem Bruder und mir wurden endlich zwei Plätze in ein und demselben Flugzeug nach Barranquilla bestätigt, im letzten Augenblick mussten wir aber dann doch mit unterschiedlichen Maschinen fliegen. Der Regen und der Nebel, die seit dem letzten Freitag in Bogotá anhielten, stanken nach Pulver und verwesten Leichen. Auf dem Weg zum Flughafen wurden wir an zwei Straßensperren von Soldaten verhört, die selbst starr vor Angst waren. Beim zweiten Kontrollposten warfen sie sich zu Boden und befahlen uns, das Gleiche zu tun, als es eine Explosion gab, der ein Feuergefecht mit schweren Waffen folgte; es stellte sich aber heraus, dass die Explosion von einem Gasleck in einer Fabrikanlage herrührte. Wir Passagiere hatten Verständnis für das Verhalten der Soldaten, als einer von ihnen uns sagte, er stehe dort seit drei Tagen Wache, ohne Ablösung, aber auch ohne Munition, weil diese in der Stadt ausgegangen war. Seitdem man uns angehalten hatte, wagten wir kaum zu sprechen, und die Angst der Soldaten gab uns den Rest. Wir mussten uns ausweisen und über unsere Absichten Auskunft geben; nach diesen Formalitäten tröstete uns jedoch die Auskunft, dass wir nur noch zu warten hatten, bis wir an Bord gebracht würden. Ich rauchte in der Zeit zwei von den drei Zigaretten, die mir jemand aus Mitleid gegeben hatte, und bewahrte eine für die Schrecken des Flugs auf.
    Da es keine Telefone gab, wurden die Abflüge und Änderungen im Flugplan von Ordonnanzen auf Motorrädern an den Militärposten bekannt gegeben. Um acht Uhr morgens wurde eine Gruppe Passagiere aufgerufen, sie sollten sofort an Bord einer Maschine nach Barranquilla gehen, die nicht die meine war. Später erfuhr ich, dass mein Bruder und die übrigen drei aus unserer Gruppe von einem anderen Militärposten aus aufgerufen worden waren. Die einsame Warterei war eine Rosskur für meine angeborene Flugangst, denn als ich das Flugzeug besteigen sollte, war der Himmel bedeckt, und Donner grollte. Auch hatte man die Gangway unserer Maschine für ein anderes Flugzeug abtransportiert, und zwei Soldaten mussten mir auf einer Maurerleiter ins Flugzeug helfen - alles zu eben der Zeit, da Fidel Castro am selben Flughafen ein anderes, mit Kampfstieren beladenes Flugzeug nach Havanna bestieg, wie er mir später erzählte.
    Glück oder Pech, meine Maschine war eine nach frischer Farbe und Schmiermittel riechende DC~3, die keine Lampen für die einzelnen Passagiere und auch keine regulierte Belüftung hatte. Das Flugzeug war für Truppentransporte umgerüstet worden, so dass es statt Dreiersitzreihen wie bei Touristenflügen zwei fest im Boden verankerte lange Bretterbänke gab. Mein ganzes Gepäck bestand aus einem Rupfenkoffer mit zwei oder drei Garnituren schmutziger Wäsche, Gedichtbänden und Ausschnitten aus den Literaturbeilagen, die mein Bruder Luis Enrique noch hatte retten können. Die Passagiere saßen vom Cockpit bis zum Ende des Flugzeugs einander gegenüber. Statt Sicherheitsgurt gab es zwei Hanftaue, wie zum Festmachen von Schiffen, gewissermaßen zwei lange, kollektive Sicherheitsgurte. Am härtesten war für mich jedoch, dass, sobald ich die einzige Zigarette angezündet hatte, die ich mir, um den Flug zu überleben, aufbewahrt hatte, der Pilot im Overall vom Cockpit aus bekannt gab, das Rauchen sei verboten, weil die Treibstofftanks des Flugzeugs sich unter dem Bretterboden zu unseren Füßen befänden. Es waren drei endlose Flugstunden.
    Als wir in Barranquilla landeten, hatte es gerade so geregnet, wie es nur im April regnet, wenn entwurzelte Häuser durch die überschwemmten Straßen treiben und einsame Kranke in ihren Betten ertrinken. Ich musste in dem von der Sintflut verwüsteten Flughafen darauf warten, dass der Regen ganz aufhörte, und konnte gerade einmal herausfinden, dass das Flugzeug mit meinem Bruder und seinen zwei Begleitern pünktlich gelandet war, die drei sich aber beeilt hatten, vor dem ersten Donner eines ersten Wolkenbruchs den Terminal zu verlassen.
    Ich brauchte fast drei Stunden, um bis zum Fahrkartenbüro

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