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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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schreiend gleichzeitig, ohne einander zu verstehen oder anzusehen. Alle trugen Arbeitskleidung, außer einem adonishaften Sechzigjährigen mit schneeigem Haupt, der in einem Smoking aus anderen Zeiten und in Begleitung einer reifen, noch sehr schönen Frau in einem abgetragenen Paillettenkleid mit zu viel echtem Schmuck erschienen war. Ihre Anwesenheit konnte ein klarer Hinweis auf ihren Status sein, denn es gab kaum Frauen, denen die Ehemänner erlaubten, an solch übel beleumdeten Orten aufzutauchen. Ich hätte die beiden für Touristen gehalten, wäre da nicht der kreolische Akzent gewesen, auch gaben sie sich locker und schienen mit allen anderen vertraut zu sein. Später erfuhr ich, dass sie nichts von dem waren, wonach sie aussahen, sondern ein weltfremdes Ehepaar aus Cartagena, das sich unter irgendeinem Vorwand festlich kleidete, um auswärts essen zu gehen, aber diesmal wegen der Ausgangssperre die Gastgeber schlafend und die Restaurants geschlossen vorgefunden hatte.
    Sie luden uns denn auch zum Essen ein. Die anderen rückten an dem langen Tisch zusammen, und wir drei setzten uns etwas beengt und verlegen dazu. Auch die Polizisten wurden von dem Ehepaar so vertraulich wie Dienstboten behandelt. Der eine von ihnen war ernst und gewandt bei Tisch und reagierte wie ein Junge aus guter Familie. Der andere schien aus dem Lot zu sein, außer beim Essen und Rauchen. Eher aus Schüchternheit denn aus Anstand bestellte ich weniger als sie, und als ich merkte, dass ich bei meinem Hunger gut doppelt so viel hätte essen können, waren die anderen schon fertig.
    Der Besitzer und einzige Kellner von La Cueva hieß Juan de las Nieves, war ein junger Schwarzer von einer beklemmenden Schönheit, der sich wie ein Muselmann in blütenweiße Tücher wickelte und immer eine frische Nelke hinter dem Ohr trug. Am auffälligsten war jedoch seine übermäßige Intelligenz, die er ganz dafür einsetzte, selbst glücklich zu sein und andere glücklich zu machen. Offensichtlich fehlte ihm nicht viel, um eine Frau zu sein, und er hatte den wohl begründeten Ruf, nur mit seinem Gatten zu schlafen. Niemand machte je einen schlechten Scherz über seine Eigenart, denn er war so geistreich und schlagfertig, dass keine Gefälligkeit ohne Dank und keine Beleidigung ungesühnt blieb. Er machte alles allein, kochte genau das, was jedem Gast schmeckte, briet die grünen Bananenscheiben mit der einen Hand, während er mit der anderen die Rechnungen schrieb, und hatte nur die kümmerliche Hilfe eines etwa sechsjährigen Jungen, der ihn Mama nannte. Als wir uns von dort verabschiedeten, war ich bewegt über diese Entdeckung, aber es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass dieser Ort der ausgelassenen Nachtbummler einer der unvergesslichsten in meinem Leben sein würde.
    Nach dem Essen begleitete ich die Polizisten auf ihren verspäteten Rundgängen. Der Mond war ein goldener Teller am Himmel. Ein leichter Wind kam auf und trug aus der Ferne Fetzen von Musik und das Geschrei eines großen Festes herüber. Doch die Beamten wussten, dass wegen der Ausgangssperre keiner in den Armenvierteln ins Bett ging, stattdessen organisierten die Leute Feste, zu denen alle beitrugen, jede Nacht in einem anderen Haus, und gingen dann bis zum Tagesanbruch nicht auf die Straße.
    Als es zwei Uhr schlug, klopften wir bei meinem Hotel, denn die Freunde mussten ja inzwischen angekommen sein, doch diesmal schickte der unfreundliche Wächter uns zum Teufel, weil wir ihn für nichts und wieder nichts geweckt hatten. Da merkten die Beamten, dass ich keinen Platz zum Schlafen hatte, und beschlossen, mich in die Kaserne abzuführen. Ich dachte, sie nähmen mich auf den Arm, und fand das so dreist, dass mir die gute Laune verging und ich unflätig wurde. Überrascht von meiner kindischen Reaktion, drückte mir einer der beiden den Gewehrlauf in den Magen und wies mich in meine Schranken:
    »Reiß dich zusammen und vergiss nicht, du bist immer noch wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperre festgenommen«, sagte er und lachte sich halb tot.
    So schlief ich - in einer Sechserzelle und auf einer von fremdem Schweiß getränkten Matte - meine erste glückliche Nacht in Cartagena.
    In die Seele der Stadt einzudringen war sehr viel leichter, als den ersten Tag zu überleben. Nach knapp zwei Wochen hatte ich die Angelegenheit mit den Eltern geklärt, die meinen Ent-schluss, in einer Stadt ohne Krieg zu leben, bedenkenlos billigten. Die Hotelbesitzerin, der es Leid tat, mich zu

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