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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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schwachsinnig gestorben, hatte aber die Geistesklarheit der Agonie dazu genutzt, noch einmal mit ihrer strahlenden Stimme und ihrer perfekten Aussprache Familiengeheimnisse zu verkünden. Ihr ewiges Thema war bis zum letzten Atemzug die Pension des Großvaters gewesen. Mein Vater präparierte den Leichnam mit konservierenden Aloesäften und bedeckte ihn im Sarg mit Kalk, um eine sanfte Verwesung zu sichern. Luisa Santiaga hatte immer die Leidenschaft ihrer Mutter für rote Rosen bewundert und legte hinten im Hof ein Beet mit Rosen an, damit nie welche auf Minas Grab fehlten. Sie blühten so prachtvoll, dass die Zeit nicht langte, um höflich auf all die Fremden einzugehen, die von weither kamen und wissen wollten, ob bei einer solchen Menge herrlicher Rosen Gott oder der Teufel die Hand im Spiel habe.
    Die damaligen Veränderungen in meinem Leben und in meinem Verhalten entsprachen den Veränderungen des Hauses. Bei jedem Besuch erschien es mir anders, weil meine Eltern umgebaut und umgeräumt hatten und neue Geschwister geboren waren, die so ähnlich heranwuchsen, dass es leichter war, sie zu verwechseln, als sie zu erkennen. Jaime war nun schon zehn und hatte als Sechsmonatskind am längsten gebraucht, um sich vom mütterlichen Schoß zu lösen, und meine Mutter hatte ihn noch nicht abgestillt, als mein Bruder Hernando (Nanchi) geboren wurde. Drei Jahre später kam Alfredo Ricardo (Cuqui) auf die Welt und nach anderthalb Jahren dann Eligio (Yiyo), der Allerletzte, der in jenen Ferien gerade die wunderbaren Möglichkeiten des Krabbeins entdeckte.
    Wir zählten auch die außerehelichen Kinder meines Vaters vor und nach seiner Heirat dazu: Carmen Rosa in San Marcos und Abelardo, die beide zeitweilig in Sucre lebten, Germaine Hanai (Emi), von meiner Mutter mit Billigung der Geschwister als eigenes Kind aufgenommen, und Antonio Maria Claret (Tono), den seine Mutter in Sincé großgezogen hatte und der häufig auf Besuch kam. Fünfzehn an der Zahl, die für dreißig aßen, wenn denn genug da war, und sich dazu hinsetzten, wo gerade Platz war.
    Die Erzählungen meiner älteren Schwestern über diese Jahre geben eine angemessene Vorstellung davon, wie es zu Hause zuging, wo ein Kind noch nicht aus den Windeln war, wenn das nächste geboren wurde. Meine Mutter flehte schuldbewusst die Töchter an, sich um die Kleinen zu kümmern. Margot bekam einen tödlichen Schrecken, als sie entdeckte, dass Mama wieder schwanger war, weil sie wusste, dass die Mutter nicht Zeit genug hatte, sich alleine um alle zu kümmern. Als Margot also ins Internat nach Montería aufbrach, sprach sie ihr ernsthaft ins Gewissen, diese Schwangerschaft müsse die letzte sein. Meine Mutter versprach es ihr wie immer, auch wenn es nur geschah, um sie zu beruhigen, denn sie war sich sicher, dass Gott in seiner endlosen Weisheit das Problem schon aufs Bestmögliche lösen werde.
    Die Mahlzeiten waren ein einziges Durcheinander, denn es war nicht möglich, alle gemeinsam um den Tisch zu versammeln. Meine Mutter und die älteren Schwestern trugen das Essen für die jeweils neu Hinzukommenden auf, doch es geschah häufig, dass beim Nachtisch noch mal einer auftauchte, der seine Ration einforderte. Im Lauf der Nacht krochen die Kleinen, die nicht schlafen konnten, ins Bett der Eltern, weil es zu heiß oder zu kalt war, weil sie Zahnschmerzen oder Angst vor den Toten hatten, aus Liebe zu den Eltern oder aus Eifersucht auf die Geschwister, und morgens wachten dann alle dicht gedrängt im Ehebett auf. Wenn nach Eligio kein weiteres Kind geboren wurde, ist es nur Margot zu verdanken, die, nachdem sie aus dem Internat heimgekehrt war, ihre Autorität geltend machte, worauf meine Mutter das Versprechen, kein Kind mehr zu bekommen, einhielt.
    Unglücklicherweise sorgte die Realität dafür, die Pläne der beiden ältesten Schwestern zu durchkreuzen; sie blieben ihr Lebtag ledig. Aida begab sich wie in einem Kitschroman in die Gefangenschaft eines Klosters, das sie allen Vorschriften genügend nach zweiundzwanzig Jahren wieder verließ, als weder ihr Rafael noch sonst irgendein anderer mehr zu finden war. Margot, die von schroffer Gemütsart sein konnte, verlor ihren Rafael durch einen beiderseitigen Fehler. Solch traurigen Präzedenzfällen zum Trotz heiratete Rita den ersten Mann, der ihr gefiel, und wurde mit fünf Kindern und neun Enkeln glücklich. Die anderen beiden - Ligia und Emi - heirateten, wen sie wollten, als die Eltern müde geworden waren, gegen das

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