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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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wirkliche Leben anzukämpfen.
    Die Sorgen in der Familie schienen Teil der Krise zu sein, die das Land wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit erfuhr, verstärkt noch vom Aderlass beim Einsatz staatlicher Gewalt. Die violencia hatte Sucre wie eine finstere Jahreszeit erreicht und schlich sich auf Zehenspitzen, jedoch zielbewusst ins Haus. Wir hatten damals schon die wenigen Reserven verknuspert und waren wieder so arm wie vor unserem Umzug von Barranquilla nach Sucre. Meine Mutter aber ließ sich nicht beirren, war sie doch der Überzeugung, dass jedes Kind mit seinem Laib Brot zur Welt kommt. Das war die Lage, als ich, noch erholungsbedürftig von der Lungenentzündung, aus Cartagena heimkam, aber die Familie hatte sich beizeiten verschworen, dass ich nichts davon merken sollte.
    Der neueste Klatsch im Ort war eine angebliche Beziehung unseres Freundes Cayetano Gentile zu der Lehrerin aus der nahen Siedlung Chaparral, einem schönen Mädchen, das zwar nicht zur selben Gesellschaftsschicht gehörte, aber anständig war und aus einer rechtschaffenen Familie stammte. Das Gerücht war nicht überraschend: Cayetano war schon immer ein Schürzenjäger gewesen, nicht nur in Sucre, sondern auch in Cartagena, wo er die Oberschule besucht und das Medizinstudium begonnen hatte. Aber bisher hatte man nichts von einer festen Freundin in Sucre oder von bevorzugten Tanzpartnerinnen gewusst.
    Eines Abends sahen wir ihn auf seinem besten Pferd von seiner Finca kommen, die Lehrerin saß, die Zügel in der Faust, im Sattel und er dahinter, die Arme um ihre Taille gelegt. Wir waren nicht nur über den Grad der Vertrautheit zwischen den beiden überrascht, sondern auch über ihre Kühnheit, sich in einem Ort, der immer nur das Schlechteste dachte, auf der Promenade der großen Plaza sehen zu lassen. Cayetano erklärte jedem, der es hören wollte, er habe sie am Eingang ihrer Schule gesehen, wo sie auf jemanden wartete, der so nett wäre, sie zu dieser Abendzeit in den Ort mitzunehmen. Ich machte einen Scherz, warnte ihn, es werde demnächst einmal eine Schmähschrift an seiner Türe geben, doch er zog nur mit einer typischen Geste die Schultern hoch und ließ seine Lieblingswendung los:
    »Bei den Reichen trauen sie sich nicht.«
    Die Schmähzettel waren tatsächlich ebenso schnell, wie sie aufgetaucht waren, wieder aus der Mode gekommen, und man dachte, dass sie nur ein Symptom für die üble politische Laune im Lande gewesen seien. Diejenigen, die sie gefürchtet hatten, konnten wieder ruhig schlafen. Wenige Tage nach meiner Ankunft spürte ich jedoch, dass sich die Haltung einiger Parteifreunde meines Vaters mir gegenüber geändert hatte; sie sahen in mir den Verfasser regierungsfeindlicher Artikel in El Universal. Das stimmte nicht. Wenn ich irgendwann einmal politische Beiträge hatte schreiben müssen, dann immer ohne Namen und unter Verantwortung der Leitung, seitdem diese beschlossen hatte, nicht mehr die Frage zu stellen, was in Carmen del Bolívar geschehen sei. Die Kolumnen unter meinem Namen bezogen zweifellos klar Position zu den Schändlichkeiten der violencia und der allgemeinen Ungerechtigkeit, ergriffen jedoch für keines der politischen Lager Partei. Tatsächlich bin ich weder damals noch später je Mitglied einer Partei gewesen. Die Beschuldigung alarmierte jedenfalls meine Eltern, und meine Mutter begann Kerzen für die Heiligen anzuzünden, vor allem wenn ich bis spätnachts unterwegs war. Zum ersten Mal spürte ich um mich herum eine bedrohliche Atmosphäre, so dass ich beschloss, so wenig wie möglich aus dem Haus zu gehen.
    In jenen schlechten Zeiten tauchte im Sprechzimmer meines Vaters ein riesiger Mann auf, der wie ein Gespenst seiner selbst aussah, denn seine Haut war so dünn, dass man die Farbe der Knochen erkennen konnte, und sein Bauch war aufgeschwollen und stramm wie eine Trommel. Mit einem einzigen Satz machte er sich für immerdar unvergesslich:
    »Doktor, ich komme, damit sie mir einen Affen herausnehmen, den man mir im Bauch hat wachsen lassen.«
    Nachdem er den Mann untersucht hatte, stellte mein Vater fest, dass dieser Fall sich seiner Wissenschaft entzog, und schickte ihn zu einem Chirurgen, der zwar nicht den Affen fand, den der Patient vermutete, wohl aber ein formloses Wesen mit Eigenleben. Mich interessierte jedoch weniger die Bestie im Bauch des Mannes als der Bericht des Kranken über die magische Welt von La Sierpe, einen legendären Landstrich im Gebiet von Sucre, wohin man nur über

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