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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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nach fünfzehn Monaten das Amt niederlegen. Er wurde durch seinen designierten Stellvertreter ersetzt, den konservativen Parlamentarier und Juristen Roberto Urdaneta Ar-beläez. Eingeweihte sahen darin eine für Laureano Gómez typische Lösung, nämlich die Macht in andere Hände zu geben, ohne sie zu verlieren, um von zu Hause aus über eine Mittelsperson weiter zu regieren. Und in dringenden Fällen übers Telefon.
    Der Umstand, dass Álvaro Cepeda etwa einen Monat, bevor die Rohrdommel geopfert wurde, mit einem Abschluss von der Columbia University zurückkehrte, war für mich, glaube ich, sehr wichtig, um diese düster schicksalhafte Zeit zu überstehen. Álvaro kam mit kürzer geschnittenem Haar, ohne Schnauzbart und ungestümer als zuvor zurück. Germán Vargas und ich, die wir ihn schon seit einigen Monaten erwartet hatten und befürchteten, man hätte ihn in New York gebändigt, lachten uns tot, als wir ihn in Jackett und Krawatte aus dem Flugzeug steigen sahen und er uns schon von der Gangway aus mit Hemingways gerade erst erschienenem Buch Über den Fluss und in die Wälder zuwinkte. Ich riss es ihm aus der Hand, streichelte den Einband, und als ich etwas fragen wollte, kam Álvaro mir zuvor:
    »Es ist Scheiße!«
    Germán Vargas, der vor Lachen keine Luft bekam, flüsterte mir ins Ohr: »Er ist noch ganz derselbe.« Álvaro stellte allerdings später klar, dass sein Urteil über das Buch ein Witz gewesen sei, er habe es nämlich gerade erst auf dem Flug von Miami nach Barranquilla zu lesen begonnen. Wie auch immer, wir wurden jedenfalls davon aufgemuntert, dass er mehr denn je vom Bazillus des Journalismus, der Kunst und des Films befallen war. Während er sich in den folgenden Monaten wieder akklimatisierte, trieb er das Fieber bei uns auf dauerhafte vierzig Grad hoch.
    Die Ansteckung war sofort erfolgt. »La Jirafa«, mit der ich mich seit Monaten blind tastend im Kreis drehte, kam mit zwei Fragmenten, für die ich die Kladde von La casa plünderte, wieder zu Atem. Das eine Fragment war El hijo del coronel, ein Kind, das nie zur Welt kam, und das andere Ny, ein Flüchtlingsmädchen, an dessen Türe ich auf der Suche nach anderen Möglichkeiten oft geklopft hatte, ohne gehört zu werden. Nun, als Erwachsener, gewann ich auch mein Interesse für die Comics zurück, die ich nicht als sonntägliche Ablenkung verstand, sondern als neue Gattung, die ohne Grund ins Kinderzimmer abgeschoben wurde.
    Mein Held war, unter vielen anderen, Dick Tracy. Und dann fand ich - wie konnte es anders sein - zur Begeisterung für das Kino zurück, die der Großvater in mir geweckt, die Antonio Daconte genährt hatte und Alvaro Cepeda zu einer frommen Leidenschaft steigerte, und das in einem Land, das die besten Filme nur aus den Erzählungen von Reisenden kannte. Es war ein glücklicher Zufall, dass Alvaros Heimkehr mit der Premiere von zwei Meisterwerken zusammenfiel: Griff in den Staub, unter der Regie von Clarence Brown nach einem Roman von William Faulkner gedreht, und Jennie, die Verfilmung eines Romans von Robert Natham durch William Dieterle. Über beide Filme schrieb ich nach langen Diskussionen mit Alvaro Cepeda in »La Jirafa«. Das alles war so anregend, dass ich den Film als Kunstform mit anderen Augen zu sehen begann. Bevor ich Alvaro begegnet war, hatte ich nicht gewusst, dass das Wichtigste der Name des Regisseurs war, der ganz zuletzt im Abspann auftaucht. Für mich bedeutete Filmemachen einfach, ein Drehbuch zu schreiben und die Schauspieler zu führen, alles Weitere erledigten dann die zahlreichen Mitglieder des Teams. Als Alvaro zurück war, erteilte er mir einen vollständigen Kurs in Sachen Kino, und zwar unter lautem Geschrei und bei weißem Rum an den Tischen der übelsten Kneipen, um mir bis zum frühen Morgen das einzutrichtern, was man ihm in den USA beigebracht hatte. Den Tag begrüßten wir dann mit unseren Wachträumen, in denen es darum ging, Filme in Kolumbien zu machen.
    Abgesehen von solch leuchtendem Feuerwerk, das Alvaro zur Explosion bringen konnte, hatten wir, wenn wir ihm in seinem Tempo eines Schlachtkreuzers zu folgen versuchten, den Eindruck, dass unserem Freund die innere Ruhe fehlte, um sich zum Schreiben hinzusetzen. Wir, die wir ihn aus der Nähe erlebten, konnten ihn uns nicht länger als eine Stunde an einem Schreibtisch sitzend vorstellen. Zwei oder drei Monate nach seiner Rückkehr rief uns jedoch Tita Manotas - seine langjährige Freundin und lebenslange Frau - völlig

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