Leben, um davon zu erzählen
entsetzt an, um uns mitzuteilen, dass Alvaro seinen historischen Kleinlaster verkauft und im Handschuhfach die Originalmanuskripte seiner unveröffentlichten Erzählungen vergessen hatte, von denen es keine Kopie gab. Alvaro hatte keinerlei Anstrengungen unternommen, um die Manuskripte wiederzubekommen, mit dem für ihn typischen Argument, es habe sich nur um »sechs oder sieben Scheißgeschichten« gehandelt. Freunde und Korrespondenten unterstützen Tita dabei, den mehrfach weiter verkauften Kleinlaster aufzufinden, eine Suche, die sich über die ganze Karibikküste und landeinwärts bis Medellin erstreckte. Schließlich fanden wir ihn in einer gut zweihundert Kilometer entfernten Werkstatt in Sincelejo. Die auf Druckpapierstreifen geschriebenen Originalmanuskripte übergaben wir unvollständig und übel zugerichtet nicht Álvaro, sondern Tita, da wir befürchteten, dass er sie aus Unachtsamkeit oder Absicht wieder verlegen würde.
Zwei dieser Erzählungen wurden in Crónica veröffentlicht, und die übrigen bewahrte Germán Vargas etwa zwei Jahre lang auf, bis man dafür einen Verlag fand. Die Malerin Cecilia Porras, die der Gruppe stets die Treue hielt, illustrierte sie mit inspirierten Zeichnungen, die eine Röntgenaufnahme von Álvaro waren, indem sie ihn als all das zeigte, was er gleichzeitig sein konnte: Lastwagenfahrer, Jahrmarktsclown, verrückter Dichter, Student der Columbia oder sonst einen Beruf ausübend, nur nicht als ganz gewöhnlichen Menschen. Das Buch wurde von der Libreria Mundo unter dem Titel Todos estábamos a la espera - Wir alle warteten -verlegt und erwies sich als literarisches Ereignis, das nur von der elitären Kritik nicht wahrgenommen wurde. Für mich war es - und das schrieb ich damals auch - der beste Erzählband, der je in Kolumbien veröffentlicht worden war.
Alfonso Fuenmayor seinerseits schrieb kritische Beiträge und literarische Essays für Zeitungen und Zeitschriften, gab sich aber sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, sie gesammelt zu veröffentlichen. Als Leser war er von einer ungewöhnlichen Gefräßigkeit, darin höchstens mit Álvaro Mutis oder Eduardo Zalamea zu vergleichen. Germán Vargas und Alfonso Fuenmayor waren als Kritiker so unerbittlich, dass sie mit sich selbst noch strenger als mit ihren Nächsten verfuhren, lagen bei ihrem Steckenpferd, junge Talente zu entdecken, jedoch stets richtig. Es war in jenem kreativen Frühling, als das hartnäckige Gerücht umging, Germán schreibe die Nächte hindurch an meisterhaften Erzählungen, von deren konkreter Existenz man aber erst Jahre später erfuhr, als er sich, wenige Stunden bevor er meine Gevatterin Susana Linares heiratete, einsperrte und die Manuskripte verbrannte, um sicherzugehen, dass sie nichts davon lesen würde. Man vermutete, dass es sich um Erzählungen und Essays handelte, vielleicht war auch ein Romanentwurf dabei, aber Germán verlor nie ein Wort darüber, auch später nicht, bis er am Vorabend seiner Hochzeit diese drastische Vorsichtsmaßnahme ergriff, damit nicht einmal das Mädchen, das am nächsten Tag seine Frau sein würde, etwas davon erführe. Susana merkte, was vor sich ging, stürzte aber nicht ins Zimmer, um es zu verhindern, weil ihre Schwiegermutter es ihr nicht erlaubt hätte. »In jener Zeit«, sagte Susi Jahre später mit ihrem vorwitzigen Humor zu mir, »durfte eine Verlobte vor der Heirat doch nicht in das Schlafzimmer ihres Versprochenen.«
Es war noch kein Jahr vergangen, als die Briefe von Don Ramon weniger ausführlich wurden, auch immer trauriger und seltener. Am 7. Mai 1952 kam ich um zwölf Uhr mittags in die Librería Mundo, und Germán musste mir nichts sagen. Ich begriff, Don Ramon war gestorben, vor zwei Tagen, im Barcelona seiner Träume. Als einzigen Kommentar sagten alle, als sie nacheinander im Café eintrafen:
»Das gibt es nicht.«
Damals war ich mir nicht dessen bewusst, dass ich ein besonderes Jahr meines Lebens lebte, doch heute weiß ich, wie entscheidend es war. Bis dahin war ich mit meinem Penneraufzug zufrieden gewesen. In einer Stadt, in der jeder nach seiner Facön lebte, wurde ich von vielen gemocht und respektiert und von einigen auch bewundert. Ich führte ein geselliges Leben und nahm an künstlerischen Wettbewerben und gesellschaftlichen Ereignissen teil, und das alles mit meinen Jesuslatschen, die wie gekauft schienen, um Álvaro Cepeda zu imitieren, mit einer Hose aus grobem Leinen und zwei schräg gestreiften Hemden, die ich unter der
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