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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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noch einen Kommentar, ein paar der vielen unsignierten Meldungen, dampfte eine Kriminalgeschichte ein und verfasste kurz vor Redaktionsschluss die letzten Notizen für Crónica. Statt mit der Zeit einfacher zu werden, setzte der entstehende Roman aber zunehmend seine eigenen Vorstellungen gegen die meinen durch, und ich war so naiv, das als günstiges Zeichen aufzufassen.
    Ich war so voller Elan, dass ich in einer Notsituation, als ein Autor politischer Kommentare, dem wir drei Seiten in Crónica eingeräumt hatten, mit einem Herzinfarkt darniederlag, meine zehnte Erzählung verfasste - Jemand bringt die Rosen in Unordnung. Erst als ich die Druckfahnen korrigierte, fiel mir auf, dass es sich wieder um eins der statischen Dramen handelte, die ich einfach so, ohne es noch zu merken, herunterschrieb. Diese ärgerliche Erkenntnis verstärkte meine Gewissensbisse, dass ich einen Freund kurz vor Mitternacht aufgeweckt hatte, damit er mir den Artikel in weniger als drei Stunden lieferte. Gleichsam zur Buße hatte ich meine Geschichte in der gleichen Zeit geschrieben, und am Montag wies ich dann in der Redaktionskonferenz noch einmal darauf hin, dass wir schleunigst auf die Straße gehen müssten, um mit knalligen Reportagen die Zeitschrift in Schwung zu bringen. Dieser Gedanke, den eigentlich alle teilten, wurde jedoch wieder einmal verworfen, und zwar mit einem Argument, das meinem Glück zuträglich war: Wenn wir mit unserer idyllischen Vorstellung von der Reportage jetzt auf die Straße stürzten, würde die nächste Nummer der Zeitschrift nicht rechtzeitig herauskommen, wenn sie denn überhaupt herauskäme. Ich hätte es als Kompliment auffassen müssen, konnte aber nicht den bitteren Gedanken loswerden, dass der wahre Grund für die Ablehnung war, dass die anderen noch meine Reportage über Berascochea in schlechter Erinnerung hatten. Ein Trost war in jenen Tagen der Anruf von Rafael Esca-lona, dem Autor der Lieder, die man auf dieser Seite der Welt sang und noch immer singt. Barranquilla war ein lebendiges Zentrum der Musik, weil die fahrenden Sänger und Akkordeonspieler, die wir von den Festen in Aracataca kannten, oft durch die Stadt kamen und die Rundfunkstationen an der Karibikküste für die Verbreitung dieser Musik sorgten. Ein damals sehr bekannter Sänger war Guillermo Buitrago, der sich damit brüstete, mit den Neuigkeiten aus Der Provinz auf dem Laufenden zu sein. Sehr populär war auch Crescencio Salcedo, ein barfüßiger Indio, der sich an der Ecke der Lunchería Americana aufstellte und einfach lossang, Lieder aus eigener oder fremder Ernte, mit einer etwas blechernen Stimme, aber einer eigenen Kunstfertigkeit, die ihn bei den täglichen Menschenmengen in der Galle San Blas beliebt machte. Einen guten Teil meiner frühen Jugend habe ich damit verbracht, mich in seine Nähe zu stellen, ohne ihn auch nur zu grüßen, ohne aufzufallen, bis ich sein breites Liederrepertoire auswendig konnte.
    Diese Leidenschaft erreichte ihren Höhepunkt an einem schläfrigen Nachmittag, als ich an »Lajirafa« schrieb und das Telefon mich dabei unterbrach. Eine Stimme wie die so vieler Bekannten aus meiner Kindheit begrüßte mich ohne weitere Einleitungsformeln:
    »Wie steht's, Bruder. Hier ist Rafael Escalona.«
    Fünf Minuten später trafen wir uns an einem reservierten Tisch im Café Roma, um eine Freundschaft fürs Leben zu schließen. Wir hatten uns kaum begrüßt, als ich Escalona auch schon drängte, mir seine letzten Lieder vorzusingen. Lockere Verse, mit einer sehr tiefen und wohl temperierten Stimme gesungen, die vom Trommeln der Finger auf den Tisch begleitet wurde. Die Volkspoesie unseres Landstrichs zeigte sich Strophe für Strophe in einem neuen Kleid. »Ich geb dir einen Strauß Vergissmeinnicht, damit du tust, was er bedeutet«, sang Escalona. Ich wiederum bewies ihm, dass ich die besten Lieder aus seiner Gegend auswendig kannte, weil ich sie schon im Kindesalter aus dem aufgewühlten Fluss der mündlichen Tradition aufgefischt hatte. Am meisten überraschte ihn aber, dass ich von Der Provinz so sprach, als ob ich sie kennen würde.
    Ein paar Tage zuvor war Escalona mit dem Bus von Villa-nueva nach Valledupar gefahren und hatte dabei Musik und Text eines neuen Liedes für die Karnevalsfeier am nächsten Sonntag im Kopf komponiert. Das war seine Methode, da er keine Noten schreiben und auch kein Instrument spielen konnte. In einem der Dörfer auf dem Weg stieg einer der zahllosen fahrenden Troubadoure mit

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