Leben, um davon zu erzählen
Vollblutpferd zu begutachten, das man ihm verkaufen wollte, und plötzlich spürte, dass sich sein rechtes Auge mit Wasser füllte. Er wollte es mit der Hand schützen, und es blieben nur ein paar durchsichtige Tropfen auf der Handfläche zurück. Er verlor nicht nur das rechte Auge, sondern meine Großmutter erlaubte auch nicht, dass er das vom Teufel besessene Pferd kaufte. Eine kurze Zeit lang trug er über der wolkigen Augenhöhle eine Piratenklappe, bis der Arzt ihm stattdessen eine wohlgeschliffene Brille anpasste und ihm einen Spazierstock verordnete, der schließlich zu einem Erkennungszeichen wurde, so wie die kleine Westentaschenuhr, die an einer Goldkette hing und deren Deckel mit einer Melodie aufsprang. Allseits bekannt war auch, dass die Tücken der Jahre, die den Großvater zu beunruhigen begannen, nicht die Gewandtheit des heimlichen Verführers und guten Liebhabers beeinträchtigten.
Bei dem rituellen Bad um sechs Uhr früh, das er in seinen späten Jahren stets mit mir zusammen nahm, benutzten wir einen ausgehöhlten Kürbis, um uns mit Wasser aus der Zisterne zu begießen, und bespritzten uns zum Schluss mit Agua Florida von Lanman & Kemps, das die Schmuggler aus Curafao kartonweise ins Haus lieferten, wie auch den Brandy und die Hemden aus Chinaseide. Ich habe den Großvater einmal sagen hören, es sei das einzige Parfüm, das für ihn in Frage komme, weil es nur der rieche, der es benutze, was er dann allerdings nicht mehr glaubte, nachdem jemand es an einem fremden Kopfkissen erkannt hatte. Eine andere, jahrelang wiederholte Geschichte ist die, als eines Nachts das Licht ausfiel und der Großvater sich eine Flasche Tinte, die er für sein Agua Florida hielt, über den Kopf goss.
Bei den täglichen Arbeiten im Haus trug er Drillichhosen mit elastischen Hosenträgern, weiche Schuhe und eine Kordmütze mit Schirm. Für das Hochamt am Sonntag, das er nur sehr selten und dann aus Gründen höherer Gewalt verpasste, und bei jedwedem Feier- oder Gedenktag erschien er in einem Anzug aus weißem Leinen mit Zelluloidkragen und schwarzer Krawatte. Zweifellos waren es diese seltenen Gelegenheiten, die ihm den Ruf eines Verschwenders und Dandys einbrachten. Mein heutiger Eindruck ist, dass das Haus mit allem, was darin war, nur für ihn existierte, denn seine Ehe war beispielhaft für den Machismo in einer matriarchalischen Gesellschaft: Der Mann ist der absolute König seines Hauses, über das jedoch die Frau regiert. Kurz gesagt: Er war der Macho. Das heißt: privat ein Mann von erlesener Zärtlichkeit, für die er sich in der Öffentlichkeit schämte, während seine Frau sich verzehrte, um ihn glücklich zu machen.
Meine Großeltern sind im Dezember 1930 noch einmal nach Barranquilla gereist, als der hundertste Todestag von Bolivar gefeiert wurde und sie bei der Geburt meiner Schwester Aida Rosa, des vierten Kindes der Familie, dabei sein wollten. Auf der Rückreise nach Cataca nahmen sie Margot mit, die wenig älter als ein Jahr war, und meine Eltern blieben mit Luis Enrique und der Neugeborenen zurück. Es fiel mir nicht leicht, mich an die Veränderung zu gewöhnen, denn Margot kam ins Haus wie ein Geschöpf aus einer anderen Welt, rachitisch und unfertig und mit einem undurchdringlichen Innenleben. Als Abigail Garcia - die Mutter meines Freundes Luis Carmelo - sie sah, verstand sie nicht, dass meine Großeltern eine solche Verantwortung auf sich genommen hatten. »Dieses Kind ist moribund«, sagte sie. Allerdings sagte sie das auch über mich, weil ich wenig aß, weil ich zwinkerte, weil die Geschichten, die ich erzählte, ihr so übertrieben erschienen, dass sie Lügen darin witterte, ohne auf den Gedanken zu kommen, dass sie meistens nur auf eine andere Weise stimmten. Jahre später erfuhr ich, dass Doktor Barboza mich als Einziger mit einem weisen Argument verteidigt hatte: »Die Lügen der Kinder sind Zeichen von einem großen Talent.«
Es verging viel Zeit, bis Margot sich dem Familienleben fügte. Sie setzte sich in irgendeinen Winkel in den kleinen Schaukelstuhl und lutschte am Daumen. Nichts erregte ihre Aufmerksamkeit, außer dem Schlagen der Uhr, die sie zu jeder vollen Stunde mit ihren weit aufgerissenen, verzückten Augen suchte. Mehrere Tage lang gelang es nicht, sie zum Essen zu bewegen. Sie wies die Mahlzeiten ohne viel Aufhebens zurück, warf sie manchmal in eine Ecke. Niemand verstand, wie sie ohne zu essen überlebte, bis man merkte, dass ihr nur die feuchte Gartenerde schmeckte
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