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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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verfertigte er im Handumdrehen mit Techniken der Karikatur, den einzigen, an die er glaubte. Fast immer gelangen diese Zeichnungen, auch wenn Germán Vargas wohlwollend zu sagen pflegte, dass sie sehr viel besser waren, wenn sie misslangen.
    Das war Barranquilla, eine Stadt, die keiner anderen glich, besonders von Dezember bis März, wenn die Passatwinde aus dem Norden für die höllischen Tage mit nächtlichen Sturmwinden Ausgleich schufen, in die Höfe der Häuser fuhren und die Hühner in die Luft wirbelten. Nur in den Stundenhotels und den Hafenkneipen war dann noch Leben. Ein paar nächtliche Vögelinnen warteten bis zum Morgen auf die immer Ungewisse Kundschaft von den Flussdampfern. Eine Blaskapelle spielte in der Grünanlage einen schleppenden Walzer, aber niemand hörte zu, weil die Fahrer der Taxis, die auf dem Paseo Bolívar aufgereiht waren, laut schreiend über Fußball diskutierten. Das einzige offene Lokal war das Café Roma, eine Kneipe der Spanienflüchtlinge, die nie schloss, aus dem einfachen Grund, weil es keine Türen gab. Sie hatte auch kein Dach und das in einer Stadt berüchtigter 'Wolkenbrüche, doch nie wurde bekannt, dass jemand nur wegen des Regens aufgehört hätte, seine Tortilla zu essen oder ein Geschäft auszuhandeln. Es war eine Freiluftoase mit weiß gestrichenen runden Tischchen und kleinen Eisenstühlen unter den Laubkronen blühender Akazien. Um elf, wenn die Morgenzeitungen schlossen - El Heraldo und La Prensa -, versammelten sich die Nachtredakteure zum Essen. Die Spanienflüchtlinge kamen gegen sieben, nachdem sie zu Hause im Radio die Nachrichten von Professor Juan José Domenech gehört hatten, die auch zwölf Jahre nach der Niederlage immer noch Meldungen über den spanischen Bürgerkrieg brachten. An einem glücklichen Abend hatte der Schriftsteller Eduarde Zalamea, von La Guajira zurückkehrend, hier Anker geworfen und sich ohne ernstliche Folgen mit dem Revolver in die Brust geschossen. Der Tisch wurde wie eine historische Reliquie behandelt, die Kellner zeigten ihn den Touristen, erlaubten diesen aber nicht, daran Platz zu nehmen. Jahre später veröffentlichte Zalamea als Zeugnis dieses Abenteuers Cuatro anos a bordo de mí mismo -Vier Jahre an Bord meiner selbst -, einen Roman, der unserer Generation unerwartete Horizonte eröffnete.
    Ich war als Einziger in der Bruderschaft unbehaust und suchte oft im Café Roma Zuflucht, um dort in einem abgelegenen Winkel bis zum Anbruch des Tages zu schreiben, da meine beiden Arbeiten die paradoxe Eigenschaft hatten, wichtig und zugleich schlecht bezahlt zu sein. Im Roma wurde ich beim gnadenlosen Lesen vom Morgengrauen überrascht, und wenn mich der Hunger plagte, trank ich eine dicke Schokolade, aß dazu ein Sandwich mit gutem spanischem Schinken und wanderte dann bis zum Sonnenaufgang unter den blühenden Bäumen des Paseo Bolívar einher. In den ersten Wochen hatte ich bis spät in der Nacht in der Redaktion geschrieben und ein paar Stunden im leeren Konferenzsaal oder auf den Papierrollen in der Druckerei geschlafen, mit der Zeit sah ich mich jedoch gezwungen, mir ein weniger originelles Quartier zu suchen.
    Den entscheidenden Tipp und noch viele weitere in der Zukunft bekam ich von den fröhlichen Taxifahrern vom Paseo Bolívar: ein Stundenhotel, wo man für anderthalb Pesos allein oder in Begleitung schlafen konnte und das nur einen Block von der Kathedrale entfernt lag. Das Gebäude war alt, aber gut erhalten, auf Kosten der feierlich aufgeputzten Hürchen, die auf der Suche nach verirrten Liebschaften ab sechs Uhr abends über den Paseo Bolívar streunten. Der Portier hieß Lácides. Er hatte ein Glasauge mit verschobener Achse und stotterte aus Schüchternheit, und seit dem ersten Abend dort denke ich mit großer Dankbarkeit an ihn. Er warf die einsfünfzig in die Thekenschublade, die bereits mit den losen, verkrumpelten Scheinen der ersten Stunden gefüllt war, und gab mir den Schlüssel für das Zimmer Nummer sechs.
    Ich war noch nie an einem so ruhigen Ort gewesen. Man hörte allenfalls gedämpfte Schritte, ein unverständliches Murmeln und, sehr selten, das klagende Quietschen der rostigen Federn. Doch kein Flüstern, kein Seufzen: nichts. Das einzig Missliche war wegen des kreuzweise mit Brettern vernagelten Fensters die Backofenhitze. Dennoch las ich sehr bequem schon in der ersten Nacht fast bis zum Morgengrauen William Irish.
    Es war das ehemalige Palais einer Reederfamilie, mit alabasterverkleideten Säulen und

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