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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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neuen asphaltierten Straßen zu Schrott. Das Bestattungsunternehmen La Equitativa stellte, inspiriert vom Humor des Todes, ein riesiges Schild an den Ortsausgang: »Rasen Sie nicht, wir warten auf Sie.«
    Nachts, wenn wir nirgendwo anders als im Haus sein konnten, versammelte meine Mutter uns um sich und las uns Papas Briefe vor. Die meisten davon waren Meisterwerke der Ablenkung, doch einer sprach deutlich von der Begeisterung der älteren Leute am Unterlauf des Magdalena für die Homöopathie. »Da gibt es Fälle, die hier als Wunder angesehen würden«, schrieb mein Vater. Manchmal hinterließ so ein Brief den Eindruck, dass Papa uns bald etwas Großes offenbaren würde, aber dann folgte ein weiterer Monat Schweigen. In der Karwoche bekamen die beiden jüngsten Geschwister schwer Windpocken, und wir konnten uns nicht mit ihm in Verbindung setzen, weil nicht einmal die kundigsten Viehtreiber etwas über seinen Verbleib wussten.
    In jenen Monaten begriff ich, was eines der von meinen Großeltern am häufigsten gebrauchten Wörter - Armut - im wirklichen Leben bedeutet. Ich hatte es auf die Situation bezogen, in der wir in Aracataca lebten, als die Bananengesellschaft aufgelöst wurde. Die Großeltern klagten ständig darüber. Es gab nicht mehr zwei oder gar drei Schichten am Mittagstisch, sondern nur noch eine. Um auf das heilige Ritual der geselligen Mahlzeiten auch dann nicht verzichten zu müssen, als man es sich nicht mehr wirklich leisten konnte, kauften sie das Essen schließlich in Garküchen am Markt; es war gut und sehr viel billiger und schmeckte den Kindern überraschenderweise sogar besser. Doch die Mittagsmahle hörten endgültig auf, als Mina erfuhr, dass einige der besonders häufigen Gäste beschlossen hatten, nicht wiederzukommen, weil bei uns nicht mehr so gut wie früher gegessen wurde.
    Im Vergleich dazu war die Armut meiner Eltern in Barranquilla erdrückend, bescherte mir jedoch den Reichtum einer außerordentlichen Beziehung zu meiner Mutter. Neben der verständlichen Sohnesliebe empfand ich Staunen und Bewunderung für sie, die mit dem Charakter einer stillen, aber wilden Löwin gegen das Missgeschick anging und sich Gott nicht unterwarf, sondern mit ihm zu ringen schien - eine doppelt vorbildliche Haltung, aus der ihr ein Lebensvertrauen erwuchs, das sie nie im Stich ließ. Noch in den schlimmsten Situationen konnte sie über ihre Art, sich vorläufig zu behelfen, lachen. Wie damals, als sie ein Ochsenknie kaufte und es Tag um Tag für eine immer wässriger werdende Brühe auskochte, bis es nichts mehr hergab. In einer schrecklichen Sturmnacht brauchte sie das Schweineschmalz eines ganzen Monats auf, um aus Lumpen Dochte herzustellen, da das Licht bis zum Morgen ausgefallen war und die Kleinen Angst vor der Dunkelheit hatten - eine Angst, die sie selbst geweckt hatte, damit sie in den Betten blieben.
    Am Anfang trafen sich meine Eltern noch mit befreundeten Familien, die wegen der Krise im Bananengeschäft und des Verfalls der öffentlichen Ordnung aus Aracataca emigriert waren. Man besuchte sich reihum, und alle Gespräche kreisten um das Unglück, das den Ort heimgesucht hatte. Als uns aber die Armut in Barranquilla zusetzte, gingen wir nicht mehr in fremde Häuser, um zu klagen. Meine Mutter fasste ihre Zurückhaltung in einen einzigen Satz: »Die Armut zeigt sich in den Augen.«
    Bis zu meinem fünften Geburtstag war der Tod für mich ein natürliches Ende gewesen, das andere ereilte. Für mich waren die Wonnen des Himmels und die Martern der Hölle nur Lektionen, die man für die Katechismusstunde bei Pater Astete auswendig lernen musste. Mit mir hatte das nichts zu tun, bis ich zufällig bei einer Trauerfeier bemerkte, wie die Läuse sich aus dem Haar des Toten davonmachten und ziellos über die Kissen liefen. Nicht Furcht vor dem Tod beunruhigte mich seitdem, sondern die Angst vor der Peinlichkeit, dass, für alle Hinterbliebenen sichtbar, womöglich auch mich bei meiner Trauerfeier die Läuse fliehen könnten. Dennoch bemerkte ich auf der Primarschule in Barranquilla nicht, dass ich völlig verlaust war, bis ich die ganze Familie angesteckt hatte. Daraufhin lieferte meine Mutter einen weiteren Beweis ihres Charakters. Sie desinfizierte ihre Kinder eins nach dem anderen mit einem Kakerlakengift und taufte diese gründliche Säuberungsaktion auf einen traditionsreichen Namen: die Polizei. Das Schlimme war, dass wir, kaum sauber, wieder verlaust waren, weil ich mir erneut Läuse in

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