Leben, um davon zu erzählen
beiden Büchern, wie bei Tausend und einer Nacht, lernte ich ein für alle Mal, dass man eigentlich nur solche Bücher lesen sollte, die einen dazu zwingen, sie wieder zu lesen.
Dagegen war die Lektüre des Quijote stets ein besonderes Kapitel für mich, denn er löste nicht die von Lehrer Casalins erwartete Erschütterung bei mir aus. Mich langweilten die weisen Ergüsse des fahrenden Ritters, und die Eseleien seines Schildknappen fand ich keineswegs witzig, so dass ich schließlich tatsächlich meinte, es könne sich nicht um das Buch handeln, das in aller Munde war. Ich sagte mir jedoch, dass ein so kluger Lehrer wie der unsere nicht irren könne, und bemühte mich, den Quijote löffelweise wie ein Abführmittel zu schlucken. Weitere Anläufe machte ich später in der Oberschule, wo der Quijote zum Pflichtpensum gehörte, doch meine Abscheu war unüberwindlich, bis ein Freund mir den Rat gab, das Buch auf das Bord im Klosett zu legen und dort bei meinen täglichen Erledigungen zu lesen. Erst auf diese Weise habe ich das Werk entdeckt, ich fing buchstäblich Feuer und genoss es vorwärts und rückwärts, bis ich ganze Episoden auswendig aufsagen konnte.
Diese von der Vorsehung auserwählte Schule hat mir auch historische Erinnerungen an die Stadt von einst und eine unwiederbringliche Epoche hinterlassen. Das Schulhaus stand allein auf dem Gipfel eines grünen Hügels, und von der Terrasse aus konnte man zwei gegensätzliche Welten erblicken. Links lag der Barrio del Prado, das vornehmste und teuerste Viertel, das mir schon beim ersten Anblick als getreue Kopie des elektrifizierten Hühnerstalls der United Fruit Company erschien. Nicht zufällig: Das Viertel war von einer nordamerikanischen Urbanisierungsfirma gebaut worden, die ihren Geschmack, ihre Normen und ihre Preise importierte, und war für den Rest des Landes eine unschlagbare Touristenattraktion. Rechts dagegen lag ein staubiger Vorort, unser Barrio Abajo, mit seinen glühenden Erdstraßen und den palmenstrohgedeckten Lehmhäusern, die uns jederzeit daran gemahnten, dass wir nur aus Fleisch und Blut und sterblich waren. Zum Glück hatten wir von der Schulterrasse aus auch einen Panoramablick auf die Zukunft: das historische Delta des Magdalena, eines der großen der Welt, und das graue Meer bei den Bocas de Ceniza.
Am 28. Mai 1935 hatten wir den Öltanker Taralite gesehen, der unter kanadischer Flagge und dem Kommando von Kapitän D.F. MC Donald mit triumphalem Tuten zwischen den Wellenbrechern aus nacktem Fels in den Hafen der Stadt einfuhr, wo er mit lauter Musik und Feuerwerk begrüßt wurde. Das war der krönende Abschluss einer Bürgerbewegung, die viele Jahre und viel Geld dareingesetzt hatte, aus Barranquilla den ersten Fluss- und Seehafen des Landes zu machen.
Wenig später streifte eine Maschine unter dem Kommando von Flugkapitän Nicolás Reyes Manotas fast die Dachterrassen, weil der Pilot einen freien Platz für eine Notlandung suchte, nicht nur um die eigene Haut zu retten, sondern auch die der Christenmenschen, auf die das Flugzeug sonst gestürzt wäre. Er war einer der Pioniere der kolumbianischen Luftfahrt. Er hatte das primitive Flugzeug in Mexiko geschenkt bekommen und brachte es allein vom einen zum anderen Ende Mittelamerikas. Am Flughafen von Barranquilla hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die ihm eine rauschende Willkommensfeier mit Taschentüchern, Fahnen und einer Musikkapelle bereitet hatte, doch Reyes Manota wollte noch zwei Begrüßungsrunden über der Stadt drehen, wobei dann der Motor aussetzte. Mit einer an Wunder grenzenden Geschicklichkeit gelang es dem Piloten, das Flugzeug aufzufangen, um auf der Dachterrasse eines Gebäudes im Geschäftszentrum zu landen, doch die Maschine verhedderte sich in den Stromkabeln und blieb schließlich an einem Pfosten hängen. Mein Bruder Luis Enrique und ich waren mit einer aufgeregten Menge so weit hinterhergelaufen, wie unsere Kräfte reichten, den Piloten sahen wir jedoch erst, als er bereits unter großen Schwierigkeiten, aber heil und gesund ausgestiegen war und mit Ovationen empfangen wurde.
Die Stadt hatte auch den ersten Rundfunksender, ein modernes Wasserleitungssystem, das mit seinem neuen Klärverfahren zur touristischen und pädagogischen Attraktion wurde, und eine Feuerwehr, deren Sirenen und Glocken immer ein Fest für Groß und Klein waren. Auch die ersten Cabriolets tauchten dort auf, fielen mit irrer Geschwindigkeit in die Stadt ein und fuhren sich auf den
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