Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy
Pilatus lebte. – Das sei in der nächsten Stadt – sagte der Lohndiener – in Vienne. – Das freut mich, sagte ich, indem ich rasch von meinem Stuhle aufstand und mit doppelt so großen Schritten als gewöhnlich durch das Zimmer ging, – um so früher werde ich an dem Grab der beiden Liebenden sein.
Welches die Ursache dieser Bewegung war, und warum ich so große Schritte machte, als ich Obiges äußerte, – könnte ich gleichfalls den Naturforschern zu entscheiden überlassen; da jedoch kein Uhrwerk-Grundsatz dabei in Frage kommt, – wird es für den Leser das Gleiche sein, wenn ich es selbst erkläre.
232. Kapitel.
O es ist eine süße Periode im Leben des Menschen, wenn das Gehirn noch zart und faserig und mehr als irgend etwas der Pappe ähnlich ist – und man dann eine Geschichte von zwei Verliebten liest, die durch grausame Eltern und ein noch grausameres Schicksal von einander getrennt sind –
Amandus
Amanda
Er,
Sie, –
und keines weiß, wohin das Andere verschlagen ist;
Er
Sie
–
–
nach Osten,
nach Westen;
worauf dann Amandus von den Türken gefangen und an den Hof des Kaisers von Marocco geschleppt wird, wo sich die Prinzessin von Marocco in ihn verliebt und ihn zwanzig Jahre lang wegen seiner Liebe zu Amanda gefangen hält – während Sie (Amanda) während dieser ganzen Zeit barfuß und mit aufgelösten Haaren über Felsen und Gebirge wandert und immer nach Amandus fragt, – Amandus! – Amandus! und jeden Berg und jedes Thal zum Echo seines Namens macht –
Amandus! Amandus!
und in jeder Stadt und jedem Flecken trostlos am Thore sitzt und fragt: – Ist mein Amandus – mein Amandus nicht hierher gekommen? – bis sie beide rund und rund um die Welt gegangen sind, und der Zufall sie unerwartet in der gleichen Minute in der Nacht aber von entgegengesetzter Seite her an das Thor von Lyon, ihrer Vaterstadt, führt, wo sie mit wohlbekannter Stimme laut
Ist Amandus
Ist meine Amanda
}
}
noch am Leben?
rufen, sich in die Arme stürzen und todt vor Freude niedersinken –
Es ist, sage ich, eine süße Periode im Leben eines jeden edeln Sterblichen, wo eine solche Geschichte dem Gehirne mehr
pabulum
(Futter) bietet, als all der alterthümliche Plunder, den die Reisenden zu dem Ende zusammenkochen.
Dies Alles stand in meinem eigenen Gehirn auf der rechten Seite, da wo es Spon und andere Schriftsteller in ihren Berichten über Lyon eingepreßt hatten, und da ich überdies Gott weiß in welcher Reisebeschreibung fand, – daß ein der Treue des Amandus und der Amanda geweihtes Grab außerhalb der Thore erbaut worden sei, wo sich bis zur heutige Stunde Liebende zusammenfänden, um sich ihre Treue zu betheuern, – so gerieth ich nie in meinem Leben in einen Handel dieser Art, ohne daß dies Grab der Liebenden auf eine oder die andere Weise am Schlusse auftrat; ja es hatte eine solche Macht über mich gewonnen, daß ich selten an Lyon denken oder davon sprechen, – bisweilen sogar nicht einmal eine Lyoner Weste betrachten konnte, ohne daß dieser Rest des Alterthums vor meine Phantasie trat; und oft sagte ich in meinem wilden Dreinfahren, – und ich fürchte mit einigem Mangel an Ehrerbietung – ich halte diesem Schrein trotz seiner Vernachlässigung für so schätzbar wie den von Mecca und um so wenig geringer (ausgenommen an Pracht) als die
Casa santa
in Loretto, daß ich einmal eigens um ihn zu besuchen eine Pilgerfahrt dahin machen möchte (wenn ich auch sonst in Lyon nichts zu thun hätte.)
In meiner Liste der Sehenswürdigkeiten von Lyon war dieser Gegenstand also der letzte, aber nicht der unwichtigste. Nachdem ich daher ein oder zwei Dutzend größere Schritte als gewöhnlich durch mein Zimmer gethan hatte, als mir dies eben durch den Kopf ging, stieg ich ruhig nach dem Hof hinab, um mich auf den Weg zu machen. Ich hatte inzwischen auch meine Rechnung verlangt, und da ich nicht sicher war, ob ich noch einmal nach dem Gasthof zurückkommen würde, sie auch bezahlt, – überdies dem Zimmermädchen zehn Sous gegeben und empfing eben den letzten Wunsch des Monsieur Blanc zu einer glücklichen Reise auf der Rhone, – als ich am Thor aufgehalten wurde.
233. Kapitel.
Es war ein armer Esel, der eben mit einem Paar großen Körben auf dem Rücken daher gekommen war, um ein Almosen von Rübenkraut und Kohlblättern einzusammeln. Er stand etwas im Zweifel mit beiden Vorderfüßen innerhalb der Schwelle und mit den Hinterfüßen auf der Straße, und schien nicht recht zu
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