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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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diese Zeit gerade in London sein Geschäft begonnen und ein Haus gemiethet; und da die treueste Freundschaft und Herzlichkeit zwischen den beiden Brüdern herrschte – und mein Vater dachte, mein Onkel Toby könne nirgend besser als in seinem Hause gepflegt und besorgt werden – wies er ihm das beste Zimmer darin an – und was ein noch aufrichtigeres Zeugniß seiner Zuneigung war, kein Freund oder Bekannter durfte bei irgend einer Gelegenheit sein Haus betreten, ohne daß er ihn bei der Hand nahm und ihn zu seinem Bruder hinaufführte, um ein Stündchen neben dessen Bette zu verplaudern.
    Wenn ein Soldat die Geschichte seiner Wunde erzählen kann, kommt er leichter über den Schmerz derselben hinweg; wenigstens dachten die Besucher meines Onkels so; und deshalb brachten sie aus Artigkeit häufig die Rede auf diesen Gegenstand – und von der Wunde verbreitete sich dann in der Regel das Gespräch auf die Belagerung selbst.
    Diese Unterhaltungen waren außerordentlich freundlich gemeint, und thaten meinem Onkel Toby ungemein wohl, sie würden ihm aber noch viel wohler gethan haben, wenn sie ihn nicht in unvorhergesehene Verlegenheiten versetzt hätten, welche seine Cur drei volle Monate hindurch sehr verzögerten; und wäre er nicht auf ein Auskunftsmittel verfallen, um sich denselben zu entziehen, so glaube ich wirklich, hätten sie ihn ins Grab gebracht.
    Welcher Natur diese Verlegenheiten meines Onkels Toby waren – das können Sie unmöglich errathen; – wenn Sie es könnten – würde ich erröthen; nicht als Verwandter von ihm – noch als Mann – noch sogar als Frau – sondern ich würde erröthen als Schriftsteller; denn ich lege kein geringes Gewicht darauf, daß mein Leser bis jetzt noch niemals im Stande war Etwas zum Voraus zu errathen; und in dieser Beziehung bin ich so ängstlicher und eigener Natur, daß wenn ich glaubte, Sie könnten sich irgend ein Urtheil darüber bilden oder eine annähernde Vermuthung von dem haben, was auf dem nächsten Blatte vorkommen könne – ich es aus meinem Buche reißen würde. [Bis hierher ging der ursprünglich I. Theil]

26. Kapitel.
    Ich habe ein neues Kapitel begonnen, damit ich Raum genug bekomme, um die Natur der Verlegenheiten zu erklären, in welche mein Onkel Toby durch die vielen Unterhaltungen und Fragen über die Belagerung von Namur, wobei er seine Wunde erhielt, gerathen war.
    Ich muß den Leser, falls er die Geschichte der Kriege des Königs William gelesen hat, daran erinnern – oder wenn dies nicht der Fall ist, in Kenntniß setzen, daß einer der denkwürdigsten Angriffe bei dieser Belagerung derjenige war, welchen die Engländer und Holländer gegen die Spitze der vorgeschobenen Contrescarpe des Thors St. Nicolas, welche die große Schleuße deckte, richteten, wobei die Engländer dem furchtbaren Feuer von der Contregarde und der Halbbastion St. Roch ausgesetzt waren. Der heiße Kampf schloß in drei Worten damit: daß sich die Holländer auf der Contregarde festsetzten – und daß sich die Engländer zu Herrn des bedeckten Wegs vor dem St. Nicolausthor machten, ungeachtet sich ihnen die französischen Offiziere mit großer Tapferkeit auf dem Glacis mit dem Degen in der Hand entgegenstellten.
    Da dies der Hauptangriff war, welchen mein Onkel Toby bei Namur mit eigenen Augen sah, – indem die Belagerer durch den Zusammenfluß der Maas und der Sambre getrennt und somit verhindert waren, viel von den gegenseitigen Operationen zu sehen – so war mein Onkel Toby in der Regel bei dieser Schilderung beredter und ausführlicher; seine vielen Verlegenheiten erwuchsen aber daraus, daß er fast unüberwindliche Schwierigkeiten darin fand, seine Geschichte deutlich vorzutragen, und die Verschiedenheit zwischen Escarpe und Contrescarpe – Glacis und bedecktem Weg – Halbmond und Ravelin so klar zu legen, daß die Gesellschaft vollständig begriff, um was es sich handelte.
    Sogar Schriftsteller von Profession verwechseln nicht selten diese Ausdrücke; so daß man sich um so weniger wundern wird, wenn mein Onkel Toby bei seinen Bemühungen dieselben klar zu machen und Mißverständnisse zu beseitigen, seine Besucher oftmals in Verwirrung brachte, manchmal sogar sich selbst.
    Die Wahrheit zu sagen, wenn die Gesellschaft, die mein Vater heraufbrachte, nicht aus besonders hellen Köpfen bestand, oder sich mein Onkel Toby in einer besonders glücklichen Erklärerstimmung befand, so war es eine schwierige Sache, das Gespräch von aller Dunkelheit frei zu

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