Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy
oder Doppelzüngigkeiten der Beweisführung, die der Himmel dem Menschen verliehen hat, um die Wahrheit zu erforschen und nach allen Seiten zu verfechten. – Mein Vater schimpfte und schmähte anfangs schrecklich darüber. – Es ist aber immer gut, wenn man einen angesehenen Namen hat. Da der Dialog von Erasmus war, so kam mein Vater bald wieder zu sich selbst, las ihn zu wiederholten Malen mit aller Aufmerksamkeit durch und studirte jedes Wort, ja jede Sylbe desselben durch und durch nach deren strengsten, wörtlichen Bedeutung. – Doch konnte er auch so nichts daraus machen. Vielleicht, sagte mein Vater, ist damit mehr gemeint als wirklich ausgesprochen ist. – Gelehrte Männer, Bruder Toby, schreiben nicht Dialoge über Nasen für nichts und wieder nichts. – Ich muß den mystischen und allegorischen Sinn der Sache herausstudiren. – Hier ist Raum genug, um das eigene Ich des Menschen hineinzulegen.
Mein Vater las weiter. –
Nun muß ich dem geneigten Leser mittheilen, daß außer den vielen von Erasmus aufgezählten nautischen Verwendungen der langen Nasen, der Dialog behauptet, eine lange Nase habe auch ihre häuslichen Vortheile; denn im Nothfall – und wenn es an einem Blasebalg fehle, sei sie auch sehr gut
ad excitandum focum
um das Feuer damit anzublasen.
Die Natur war in Verleihung ihrer Gaben an meinen Vater höchst verschwenderisch und hatte namentlich auch die Saat der Wortkritik so tief in ihn gesät wie die jeder anderen Kenntniß; – er hatte also sein Federmesser zur Hand genommen und experimentirte an obigen drei Wörtern; er wollte sehen ob er nicht einen besseren Sinn hineinradiren könnte. – Ich habe jetzt den mystischen Sinn des Erasmus bis auf einen Buchstaben herausgebracht, Onkel Toby, rief mein Vater. – Dann bist du nahe genug daran, Bruder, erwiderte mein Onkel alles Ernstes. – Ach was! rief mein Vater, indem er weiter radirte. Ich möchte ebensogut sieben Meilen weit davon sein. – Jetzt bin ich fertig, sagte mein Vater, und schnappte mit den Fingern. Sieh', mein lieber Bruder Toby, wie ich den Sinn verbessert habe. – Aber du hast ein Wort verstümmelt, erwiderte mein Onkel Toby. – Mein Vater setzte seine Brille auf, – biß sich in die Lippen, – und riß das Blatt im Zorn heraus.
82. Kapitel.
O Slawkenbergius! Du getreuer Zergliederer meiner
Disgrazias
– du trauriger Vorhersager so mancher Hiebe und Verkürzungen, die mir in der einen oder anderen Epoche meines Lebens wegen der Kürze meiner Nase und soviel ich mir bewußt bin aus keinem anderen Grunde zu Theil wurden – sage mir, Slawkenbergius! welcher geheime Antrieb war es? welcher Ton der Stimme? woher kam er? wie fiel er in dein Ohr? – Bist du überzeugt, daß du ihn gehört? – was zuerst dir zurief: – Geh – ach, Slawkenbergius! widme diesem Zank die Arbeit deines Lebens, – vernachlässige deinen Zeitvertreib – versammle alle Kräfte und Fähigkeiten deiner Natur – kreuzige dich selbst im Dienst der Menschheit, und schreibe einen großen Folioband für sie, und zwar über ihre Nasen.
Wie diese Sache dem Empfindungssitze der Nerven des Slawkenbergius mitgetheilt wurde – so daß Slawkenbergius wußte wessen Finger die Tasten berührte – und wessen Hand den Blasebalg trieb – darüber können wir, da Hafen Slawkenbergius über 90 Jahre her todt ist und in seinem Grabe ruht – nur Vermuthungen aufstellen.
Man hat sein Spiel mit Slawkenbergius getrieben, soviel ich weiß, wie mit einem Schüler von Whitefield; – daß heißt mit einem so bestimmten Verständniß davon, welcher der beiden Meister auf seinem Instrument gespielt – daß es ganz nutzlos ist, weiter hierüber zu verhandeln.
Denn in dem Bericht, in welchem Slawkenbergius der Welt die Gründe und Veranlassungen mittheilt, warum er schrieb und soviele Jahre seines Lebens auf dieses eine Werk verwendete – gegen das Ende seiner Einleitung die eigentlich vorn hätte kommen sollen, von dem Buchbinder aber höchst unverständig zwischen den analytischen Inhalt des Buchs und das Buch selbst versetzt wurde, – benachrichtigt er seine Leser, daß seit er in das Alter der Unterscheidungskraft gelangt und im Stande sei, mit kaltem Blute niederzusitzen und bei sich selbst den wahren Zustand und die Beschaffenheit des Menschen in Betracht zu ziehen und den Hauptzweck und die Absicht seines Seins zu ergründen; – oder – um meine Uebersetzung abzukürzen, denn das Buch des Slawkenbergius ist lateinisch geschrieben und an dieser
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