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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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Schöpfers und ersten Erfinders aller Dinge hat niemals eine Familie gemacht oder zusammengestellt (wenigstens zu der Zeit, da ich mich niedergesetzt habe, um ihre Geschichte zu schreiben) – deren Charaktere mit einem so dramatischen Geschick entworfen oder einander gegenübergestellt wären als die unsrigen; oder wo das Talent so herrliche Scenen zu bieten, und die Kraft sie beständig von Morgens bis in die Nacht zu wechseln, so eingebürgert und mit einem so unbegrenzten Vertrauen begabt gewesen wären wie in der Familie Shandy.
    Keine dieser Scenen, sage ich, war aber auf diesem unserem wunderlichen Theater unterhaltender – als diejenige, welche nicht selten aus diesem Kapitel der langen Nasen entfloß – besonders wenn die Einbildungskraft meines Vaters durch diese Untersuchung angefeuert war; und er hatte dann keine Ruhe, bis er auch die meines Onkels Toby erhitzt hatte.
    Mein Onkel Toby pflegte dann meinem Vater bei dessen Versuch alle möglichen Einräumungen zu machen; saß mit unendlicher Geduld da und rauchte ganze Stunden lang seine Pfeife, während mein Vater an seinem Kopf arbeitete und alle möglichen Zugänge versuchte, um die Ansichten von Prignitz oder Scroderus hineinzutreiben.
    Mochten diese nun über den Horizont meines Onkels gehen – oder ihm widerstreben – oder war sein Gehirn wie feuchtes Holz, daß kein Funke daran haftete; oder war es so voll Sappen, Minen, Blendirungen, Courtinen und andern militärischen Dingen, daß diese ihn außer Stand setzten, die Lehren von Prignitz und Scroderus in sich aufzunehmen – ich kann es nicht sagen; das mögen Schulmänner, – Küchenjungen, – Anatomen und Ingenieure miteinander ausfechten.
    Es war allerdings bei dieser Sache einigermaßen ungeschickt, daß mein Vater jedes Wort erst übersetzen mußte, damit es mein Onkel Toby verstand; und da mein Vater kein großer Held im Latein war, so war auch seine Uebersetzung nicht immer am reinsten – und in der Regel an solchen Stellen am wenigsten, wo es am nothwendigsten gewesen wäre. Hierdurch wurde natürlich einem zweiten Mißgeschick Thür und Thor geöffnet, – daß nämlich, je wärmer er in seinem Eifer wurde meinem Onkel Toby die Augen zu öffnen, meines Vaters Ideen um ebenso viel rascher über die Uebersetzung hinausliefen, als die Uebersetzung über diejenigen meines Onkels Toby: – und so verhalfen weder diese noch jene der Vorlesung meines Vaters zu größerer Klarheit.

84. Kapitel.
    Die Gabe des Folgerns und Schließens, – ich meine beim Menschen, denn in den höheren Klassen von Wesen wie bei Engeln und Geistern, wird dies Alles, wie man mir sagt, mittelst der Intuition abgemacht, – und Wesen niederer Art folgern wie der geneigte Leser weiß, vermöge ihrer Nasen; doch gibt es eine (aber nicht sehr bequem) im Meere schwimmende Insel, deren Bewohner, wenn mich mein Gedächtniß nicht täuscht, so wundervoll organisirt sind, daß sie gleichfalls nach letzterer Weise folgern, und oft recht gut dabei auskommen; – aber dies gehört nicht hierher.
    Die Gabe des richtigen Folgerns bei uns oder der große und Hauptact des Vernunftschlusses beim Menschen besteht, wie die Männer der Logik uns sagen, darin, die Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen miteinander mit Beihilfe einer dritten (die
medius terminus
heißt) zu finden; gerade wie ein Mann, nach Locke, mittelst einer Ruthenstange feststellen kann, daß zwei Kegelbahnen gleichlang sind, die doch nicht zusammengebracht werden könnten, um ihre Gleichheit durch
Juxtaposition
zu messen.
    Wenn der gleiche große Denker gesehen hätte, wie mein Vater sein Nasensystem illustrirte, und wenn er dabei das Benehmen meines Onkels Toby beobachtet hätte – welche Aufmerksamkeit er jedem Worte schenkte; – und wie er, so oft er die Pfeife aus dem Munde nahm, die Länge derselben mit so merkwürdigem Ernste betrachtete! – wie er sie zwischen Daumen und Zeigfinger hielt und dann auch in der Quere besah; – dann sie gerade vorwärts streckte, –dann nach dieser Seite und dann nach jener, kurz in allen möglichen Richtungen und Verkürzungen, – so würde er daraus geschlossen haben. mein Onkel Toby habe seinen
medius terminus
gefunden, und schließe und messe daran im Geist die Wahrheit jeder Hypothese über lange Nasen in der Reihenfolge, wie sie mein Vater vorbrachte. Dies wäre eigentlich mehr gewesen als mein Vater verlangte; – sein Ziel bei all den Mühen, die er sich mit diesen philosophischen Vorlesungen

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