Leben und Schicksal
blanken Unsinn, Exzellenz«, sagte Mostowskoi.
»Unsinn, natürlich«, meinte Guds ächzend. »Natürlich Unsinn. Man hat mir berichtet, dass in der allgemeinen Baracke gestern zwölf Personen in diese lächerliche russische Befreiungsarmee eingetreten sind. Man bedenke nur, wie viele davon Kulaken sind. Ich sage Ihnen nicht nur meine persönliche Meinung, sondern bin auch von einem bevollmächtigt worden, der politische Erfahrung hat.«
»Ist das nicht zufällig Ossipow?«, fragte Mostowskoi.
»Und wenn’s so wäre. Sie sind ein Mann der Theorie, Sie verstehen nicht, was hier gespielt wird.«
»Eine seltsame Unterhaltung haben Sie da eingefädelt«, sagte Mostowskoi. »Es kommt mir langsam so vor, als bliebe hier von den Menschen nichts anderes übrig als nur der Argwohn. Wer hätte das vorausahnen können!«
Guds lauschte, wie die Bronchitis in seiner Brust schnarrte und gluckste, und meinte deprimiert: »Ich werde die Freiheit nicht wiedersehen, nein, niemals wieder.«
Mostowskoi schlug sich, ihm nachblickend, mit einer ausholenden Bewegung auf die Knie – plötzlich hatte er begriffen, weshalb er nach der Untersuchung so nervös gewesen war: Die Papiere, die ihm lkonnikow gegeben hatte, waren verschwunden.
»Was, zum Teufel, hat er da geschrieben? Vielleicht hat Jerschow recht, und dieser armselige lkonnikow hat sich für eine Provokation hergegeben und mir diese paar Seiten heimlich untergeschmuggelt. Was hat er da bloß geschrieben?«
Er ging zu Ikonnikows Pritsche hinüber. Doch von lkonnikow war nichts zu sehen, und auch die Nachbarn wussten nicht, wo er steckte. Aufgrund all dieser Umstände – des Verschwindens der Papiere, der leeren Pritsche Ikonnikows – wurde ihm plötzlich klar, dass es falsch von ihm gewesen war, sich mit dem närrischen Gottessucher auf Gespräche einzulassen.
Mit Tschernezow diskutierte er, doch hatte es natürlich nicht viel Sinn; was waren das schon für Diskussionen? Der Gottesnarr hatte Mostowskoi ja in Gegenwart Tschernezows die Papiere übergeben, es gab also einen Denunzianten und einen Zeugen.
Sein Leben wurde noch für die Sache, für den Kampf gebraucht, er aber konnte es sinnlos verlieren.
»Alter Dummkopf, da hast du dich mit dem Abschaum abgegeben und dir den Tag um die Ohren geschlagen, anstatt dich mit der Sache der Revolution zu befassen«, dachte er, und das bittere Gefühl in ihm wurde immer stärker.
Im Waschraum stieß er auf Ossipow. Der Brigadekommissar wusch im trüben Licht der spärlichen Elektrizität seine Fußlappen über der Blechrinne aus.
»Gut, dass ich Sie hier treffe«, sagte Mostowskoi. »Ich muss mit Ihnen sprechen …«
Ossipow nickte, blickte sich um und trocknete die nassen Hände an den Hüften ab. Sie setzten sich auf den zementierten Mauervorsprung.
»Das habe ich mir gleich gedacht: ein Hansdampf in allen Gassen«, sagte Ossipow, als Mostowskoi ihm von Jerschow berichtet hatte.
Er strich mit seinem feuchten Handteller über Mostowskois Handrücken.
»Genosse Mostowskoi«, sagte er, »ich bewundere Ihre Entschlossenheit. Sie sind ein Bolschewik aus Lenins Kohorte; das Alter existiert für Sie nicht. Sie werden uns alle mit Ihrem Beispiel stützen.«
Gedämpft fuhr er fort:
»Genosse Mostowskoi, unser Kampfbund ist schon gegründet. Wir hatten beschlossen, Ihnen einstweilen nichts davon zu sagen, weil wir Ihr Leben schonen wollten, doch für einen Waffenbruder Lenins gibt es offenbar kein Alter. Ich sage es Ihnen ganz offen: Jerschow können wir nicht vertrauen. Wie sagt man so schön? Die Daten über seine Person sind denkbar schlecht: ein Kulak, durch Repressalien verbittert. Wir sind jedoch Realisten. Vorläufig kommen wir ohne ihn nicht aus. Er hat sich eine billige Beliebtheit erworben. Das müssen wir berücksichtigen. Sie wissen besser als ich, dass die Partei derartige Leute in gewissen Zeitabschnitten zu benutzen wusste. Doch Sie müssen unsere Ansicht über ihn kennen: ›insofern als …‹ und ›bis zu einer gegebenen Zeit…‹ usw.«
»Genosse Ossipow, Jerschow kommt ans Ziel, ich zweifle nicht an ihm.«
Man hörte die Wassertropfen auf den Zementboden fallen.
»Also gut, Genosse Mostowskoi«, sagte Ossipow langsam, »Wir haben keine Geheimnisse vor Ihnen. Es gibt hier einen Genossen, der aus Moskau eingeschleust worden ist. Ich kann seinen Namen nennen – Kotikow. Nicht nur ich, auch er vertritt die gleiche Ansicht über Jerschow. Seine Direktiven sind für uns alle, die wir Kommunisten sind, Gesetz
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