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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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entziehen.«
    »Davor habe ich keine Angst«, sagte Strum. »Nadja hat ganz recht. Meine Reden sind nur für den Hausgebrauch, eine geballte Faust in der Tasche. Ruf doch mal Tschetwerikows Frau an und besuch sie. Wir sind doch miteinander bekannt.«
    »So gut aber auch wieder nicht«, wehrte Ljudmila Nikolajewna ab. »Ich kann ihr ja doch nicht helfen. Sie kann mich jetzt sicher nicht gebrauchen. Mit wem hast du denn nach solchen Vorfällen telefoniert?«
    »Ich fände es aber richtig«, mischte sich Nadja ein.
    Strum runzelte die Stirn: »So ein Anruf ist doch auch nichts anderes als eine geballte Faust in der Tasche.«
    Er wollte mit Sokolow über Tschepyschins Weggang sprechen, nicht mit Frau und Tochter. Doch er zwang sich, Pjotr Lawrentjewitsch nicht anzurufen. Worüber er sprechen wollte, war kein Thema fürs Telefon.
    Die Angelegenheit ließ ihm keine Ruhe. Warum gerade Schischakow? Es stand doch fest, dass seine, Strums, Arbeit ein Ereignis in der Wissenschaft darstellte. Tschepyschin hatte sie im Wissenschaftsrat das bedeutendste Ereignis in der sowjetischen Physik seit zehn Jahren genannt. Und da stellten sie Schischakow an die Spitze des Instituts. Sollte das ein Scherz sein? Da hat einer Hunderte von Fotografien vor sich, sieht, dass die Spuren der Elektronen nach links gehen, und plötzlich hat er Fotos mit den gleichen Spuren und den gleichen Teilchen, nur gehen sie jetzt nach rechts. Hält sozusagen das Positron in der Hand. Der junge Sawostjanow hätte es sofort begriffen. Schischakow aber, der machte ein Schmollmündchen und legte die Fotografien als defekt beiseite. Als müsste er von GogolsSelifan 7 belehrt werden, wo rechts ist und wo links.
    Das Erstaunlichste aber war für Strum, dass diese Dinge niemanden zu wundern schienen. Irgendwie waren sie offenbar selbstverständlich; und alle Freunde Strums, er selbst und seine Frau ausgenommen, hielten diese Situation für ganz in Ordnung. Strum taugte eben nicht zum Direktor, und Schischakow taugte. Wie hatte doch Postojew gesagt? Ach ja: »Hauptsache, wir beide sind Russen.«
    Aber russischer als Tschepyschin konnte man doch nicht sein.
    Als Strum am anderen Morgen ins Institut kam, erwartete er, dass alle Mitarbeiter, einschließlich der Doktoren und Laboranten, von nichts anderem reden würden als von Tschepyschin Vor dem Eingang zum Institut parkte eine SIS-Limousine. Der Chauffeur, ein älterer Mann mit Brille, las Zeitung.
    Der alte Hausmeister, mit dem Strum im Sommer im Labor Tee getrunken hatte, begegnete ihm auf der Treppe und sagte »Der neue Chef ist da.« Bekümmert fügte er hinzu: »Und unser Dmitri Petrowitsch, was?«
    Im Saal unterhielten sich die Laboranten über die Montage des Apparats, der am Vortag aus Kasan eingetroffen war. Große Kisten verstellten den Hauptsaal des Labors. Zusammen mit der alten Ausrüstung war auch die neue aus dem Ural angekommen. Nosdrin stand, wie Strum schien, mit hochmütigem Gesicht neben einer riesigen Holzkiste.
    Perepelizyn sprang auf einem Bein um die Kiste herum, die Krücken unterm Arm.
    Anna Stepanowna sagte, auf die Kisten deutend: »Sehn Sie nur, Viktor Pawlowitsch!«
    »Na, den Koloss wird er schon nicht übersehen«, spottete Perepelizyn. Doch Anna Stepanowna hatte nicht die Kisten gemeint.
    »Ja, ja, natürlich seh ich’s«, sagte Strum.
    »In einer Stunde kommen die Arbeiter«, sagte Nosdrin. »Ich hab’s mit Professor Markow ausgemacht.«
    Er sprach diese Worte mit der ruhigen, sicheren Stimme eines Chefs. Seine Stunde hatte geschlagen.
    Strum ging in sein Arbeitszimmer. Auf dem Sofa saßen Markow und Sawostjanow; Sokolow stand am Fenster, und Swetschin, der Leiter des benachbarten Magnetlabors, saß am Schreibtisch und rauchte eine selbstgedrehte Zigarette.
    Als Strum hereinkam, erhob sich Swetschin mit der Bemerkung: »Der Platz des Hausherrn.«
    »Ach, lassen Sie nur, bleiben Sie sitzen«, winkte Strum ab. «Worum geht’s denn in der erlauchten Runde?«
    Markow sagte: »Ach, um die Verdienstgrenzen. Es sieht so aus, als würde die Einkommensgrenze für Akademiemitglieder auf fünfzehnhundert angehoben und die für gewöhnliche Sterbliche auf fünfhundert, wie bei den Schauspielern und großen Dichtern vom Kaliber eines Lebedew-Kumatsch.«
    »Da beginnen wir mit der Montage unserer Apparatur«, sagte Strum, »und Dmitri Petrowitsch ist nicht mehr im Institut. Wie es so schön heißt: Das Haus trauert, aber die Uhren gehen weiter.«
    Keiner der Anwesenden ging auf seine Bemerkung

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