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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Entfremdung so tief, dass sie nie an die Oberfläche und den Entzweiten nie zum Bewusstsein kommt. Ein lächerlicher, lauter Streit, ein hässliches, böses Wort erscheinen ihnen dann als der entscheidende Grund für die Zerstörung einer jahrelangen Freundschaft.
    Nein, nicht wegen des Gänserichs haben sich in Gogols Erzählung Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch zerstritten!
    28
    Von dem neuen stellvertretenden Direktor des Instituts, Kassjan Terentjewitsch Kowtschenko, hieß es allgemein: »Ein Schischakow’scher Kader, wie er im Buche steht.« Er war von sanftem Wesen, ließ gelegentlich ukrainische Worte in seine Rede einfließen und hatte in erstaunlich kurzer Zeit eine Wohnung und einen Dienstwagen.
    Markow, der immer das Gras wachsen hörte und fast alle Anekdoten über die Akademiemitglieder und deren Vorgesetzte kannte, erzählte, Kowtschenko habe den Stalinpreis für eine Arbeit bekommen, die er erst nach ihrer Veröffentlichung gelesen habe; sein Anteil an der Arbeit habe darin bestanden, dass er Mangelmaterial auftrieb und den Instanzenweg beschleunigte!
    Schischakow beauftragte Kowtschenko damit, die neu bewilligten Stellen für leitende wissenschaftliche Mitarbeiter auszuschreiben. Zu besetzen waren die Posten eines Leiters des Vakuumlabors und des Kältelabors.
    Aus Militärbeständen wurden dem Institut Material und Arbeitskräfte zugesagt, die mechanischen Werkstätten wurden umgebaut, das Institutsgebäude renoviert, die Moskauer Kraftwerkszentrale lieferte unbegrenzt Strom, Rüstungsfabriken statteten das Institut mit Mangelmaterial aus. Um all dies kümmerte sich Kowtschenko.
    Wenn ein neuer Chef ins Amt kommt, sagt man gewöhnlich von ihm respektvoll: »Er kommt früher als alle anderen und geht später.« Dies traf auf Kowtschenko zu. Noch größeren Respekt flößt den Angestellten allerdings ein neuer Chef ein, von dem man sagen kann: »Jetzt ist er schon zwei Wochen Chef und war erst ein einziges Mal auf ein halbes Stündchen hier.« So ein Chef, das wusste jeder, bewegte sich in den höheren staatlichen und parteilichen Organisationen, und so ordnete man, zumindest in der ersten Zeit, Schischakow ein.
    Tschepyschin war in sein Ferienhaus, seine – wie er es nannte – Laborhütte, zum Arbeiten gefahren. Der berühmte Herzspezialist Feingart hatte ihm geraten, heftige Bewegungen zu meiden und keine schweren Lasten zu tragen. Tschepyschin aber hackte Holz, hob Gräben aus und fühlte sich prächtig, wie er Feingart in einem Brief versicherte. Die harte Arbeit tat ihm gut.
    In dem kalten, hungernden Moskau war das Institut eine warme, satte Oase. Die Mitarbeiter, die nachts in ihren feuchten Wohnungen froren, legten morgens, wenn sie ins Institut kamen, genüsslich die Hände auf die warmen Heizkörper.
    Besonders gut gefiel dem Institutspersonal die neue Kantine, die im Souterrain eingerichtet worden war. Es gab dort ein Buffet, an dem man Dickmilch, gezuckerten Kaffee und Wurst ohne Marken kaufen konnte.
    Es gab sechs verschiedene Essenskategorien – für Doktoren der Wissenschaft, leitende wissenschaftliche Mitarbeiter, wissenschaftliche Mitarbeiter, leitende Laboranten, technisches Personal und Hilfspersonal.
    Die größte Aufregung gab es um das Essen der ersten beiden Kategorien, die sich voneinander durch den dritten Gang unterschieden, Kompott aus Trockenobst oder Pudding. Ärger machten auch immer wieder die Lebensmittelpakete, die den Doktoren und Abteilungsleitern für den häuslichen Bedarf zugeteilt wurden.
    Sawostjanow behauptete, über die Theorie des Kopernikus sei wahrscheinlich weniger diskutiert worden als über diese Lebensmittelpakete.
    Manchmal schien es, als befänden über die mystischen Zuteilungseinstufungen nicht nur die Direktion und das Parteikomitee, sondern noch höhere, geheimnisvolle Mächte.
    Eines Abends sagte Ljudmila Nikolajewna: »Komisch, da hab ich heute dein Paket bekommen. Swetschin, diese wissenschaftliche Null, hat zwanzig Eier bekommen und du nur fünfzehn. Ich hab’s sogar in der Liste nachgeprüft, du und Sokolow, ihr bekommt nur fünfzehn.«
    Strum sagte lachend: »Der Teufel weiß, warum! Bekanntlich werden unsere Wissenschaftler in Kategorien eingeteilt – größter, großer, berühmter, verdienter, qualifizierter und ganz zum Schluss ältester. Da es größte und große unter den Lebenden nicht gibt, brauchen sie keine Eier. Alle Übrigen bekommen Kohl, Grieß und Eier entsprechend ihrem wissenschaftlichen Gewicht. Bei uns am

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