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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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pyramidalen Alexej Alexejewitsch auch auf Einstein.
    Strum wurde nun ernstlich böse. Kalte Wut stieg in ihm hoch Es ging ihm öfter so, dass er vor Wut kochte und alle Mühe hatte an sich zu halten. Zu Hause, nachts, machte er dann seinem Herzen Luft, gab seinen Beleidigern Kontra, kalt vor Wut und mit starrem Herzen. Manchmal vergaß er sich dabei und fing an, schreiend und gestikulierend den Gegenstand seiner Liebe zu verteidigen und seine Feinde zu verlachen. Dann sagte Ljudmila Nikolajewna zu Nadja: »Vater hält wieder seine Reden.«
    Jetzt war er nicht nur wegen Einstein beleidigt. Er fand, dass jeder Bekannte an diesem Abend eigentlich mit ihm über seine Arbeit sprechen müsste, dass er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller hier Versammelten stehen sollte. Er fühlte sich zurückgesetzt und gedemütigt. Er wusste sehr gut, dass derlei Gefühle lächerlich waren, aber er kam dennoch nicht gegen sie an. Nur Tschepyschin hatte ihn auf seine Arbeit angesprochen.
    Nachdem er sich wieder gefasst hatte, sagte er: »Die Faschisten haben den genialen Einstein vertrieben mit dem Erfolg, dass ihre Physik zur Physik der Affen degeneriert ist. Aber Gott sei Dank haben wir den Vormarsch des Faschismus aufgehalten, und so ist alles eins geworden – die Wolga, Stalingrad, das bedeutendste Genie unserer Epoche, Albert Einstein, das Kuhdorf im hintersten Hinterland, die analphabetische alte Bäuerin, die Freiheit, die alle so dringend brauchen. Das habe ich gemeint, aber ich habe mich offenbar nicht klar genug ausgedrückt, dabei gibt es doch nichts Klareres als das.«
    »Mir scheint, Viktor Pawlowitsch, dass Sie bei Ihrem Lobgesang auf Einstein stark übertrieben haben«, sagte Schischakow.
    »Im Großen und Ganzen«, sagte Postojew lachend, »ist die Übertreibung evident.«
    Der junge Mann aus der Wissenschaftsabteilung sah Strum mitleidig an.
    »Also, Genosse Strum«, sagte er, und wieder spürte Strum ihr verächtliche Note in seiner Stimme, »Sie halten es für ganz natürlich, dass Sie in diesen für unser Volk so entscheidenden Tagen in Ihrem Herzen eine Verbindung zwischen Einstein und der Wolga herstellen, während sich in den Herzen Ihrer Gegenredner in diesen Tagen etwas ganz anderes regt. Doch in seinem eigenen Herzen ist jeder frei, darüber lässt sich nicht streiten. Was allerdings die Beurteilung Einsteins betrifft, so lässt sich darüber sehr wohl streiten, und mir scheint es nicht angemessen, eine idealistische Theorie als eine unübertreffliche wissenschaftliche Leistung hinzustellen.«
    »Ach, hören Sie doch auf«, unterbrach ihn Strum und fuhr, an Schischakow gewandt, im Schulmeisterton fort: »Alexej Alexejewitsch, die moderne Physik ohne Einstein wäre eine Physik der Affen. Wir dürfen mit den Namen Einsteins, Galileis und Newtons kein Schindluder treiben.« Dabei hob er mahnend den Finger und bemerkte, wie Schischakow ein Kichern unterdrückte.
    Kurze Zeit später berichtete er Sokolow, am Fenster stehend halb flüsternd, halb laut von diesem unerwarteten Zusammenstoß.
    »Sie standen doch direkt daneben und haben gar nichts gehört?«, fragte Strum. »Und Tschepyschin ist auch weggegangen, wie wenn er’s nicht hören wollte.«
    Er runzelte die Stirn und schwieg. Ach, wie naiv er doch gewesen war, von einem Triumph am heutigen Abend zu träumen. Offenbar hatte die Ankunft dieses jungen Wichtigtuers alle in fürchterliche Aufregung versetzt.
    »Kennen Sie den Namen dieses jungen Spunds?«, fragte plötzlich Sokolow, als hätte er Strums Gedanken erraten. »Wissen Sie, mit wem er verwandt ist?«
    »Keine Ahnung.«
    Sokolow näherte sich mit den Lippen Strums Ohr und begann zu flüstern.
    »Was Sie nicht sagen!«, rief Strum aus und begriff plötzlich die ihm vorher unverständliche Beziehung des pyramidalen Akademiemitglieds und Suslakows zu diesem jungen Mann im Studentenalter. Gedehnt sagte er: »Ach, sooo ist das … ich hatte mich schon gewundert.«
    Sokolow lachte: »Sie haben jedenfalls gleich am ersten Tag für gute persönliche Beziehungen zur Wissenschaftsabteilung und zur Akademieleitung gesorgt. Sie sind wie dieser Held von Mark Twain, der sich vor dem Steuerinspektor seiner Einkünfte rühmt.«
    Doch Strum gefiel diese Spitze nicht, und er fragte: »Haben Sie denn unser Gespräch wirklich nicht mit angehört, wo Sie doch neben mir standen? Oder wollten Sie sich nicht in meine Unterhaltung mit dem Steuerinspektor einmischen?«
    Die kleinen Augen Sokolows lächelten Strum an. Er nahm

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