Leben und Schicksal
Knopfloch getragen. Jetzt hingegen sprach er über die Beschlüsse des Parteibüros so, als handle es sich um ewige Wahrheiten.
Strum hatte manchmal Lust, ihm zuzublinzeln, ihn in die Rippen zu stoßen und zu sagen: »Komm, Alter, red doch normal.«
Aber er wusste, dass mit Swetschin jetzt nicht normal zu reden war, wenngleich er selbst trotz der Erschütterung, die Sokolows Worte in ihm hervorgerufen hatten, völlig normal weitersprach: »Hängt die Verhaftung Tschetwerikows auch mit den neuen Aufgaben zusammen? Und hat auch der alte Wawilow deshalb sitzen müssen? Was, wenn ich mir nun erlaube zu erklären, dass für mich Dmitri Petrowitsch in der Physik mehr Gewicht hat als Genosse Schdanow, als der Leiter der Wissenschaftsabteilung des ZK und sogar als …«
Er sah, wie ihn alle gespannt ansahen und darauf warteten, dass er den Namen Stalins aussprach, hob aber beruhigend die Hand und sagte: »Schon gut, genug jetzt, gehen wir lieber in den Saal hinüber.«
Die Kisten aus dem Ural waren bereits geöffnet. Aus Sägespänen, Papier und Brettern hatte man vorsichtig das drei viertel Tonnen schwere Kernstück der Anlage herausgeschält. Strum legte die Hand auf die polierte Metallfläche.
Aus diesem Metallleib würden, ähnlich den Wassern der Wolga unterhalb der kleinen Kapelle am Seligersee, gebündelte Elementarteilchen herausschießen.
Wie schön die Augen der Mitarbeiter in diesen Minuten waren! Es tut gut, zu fühlen, dass es auf der Welt so eine wunderbare Maschine gibt. Was will man mehr?
Nach Feierabend blieben Strum und Sokolow allein im Labor.
»Viktor Pawlowitsch, warum krähen Sie immer heraus wie ein Hahn? Sie kennen keine Demut. Ich habe Mascha von Ihren fabelhaften Erfolgen in der Sitzung in der Akademie erzählt, als Sie eine halbe Stunde lang alles daransetzten, Ihre Beziehungen zum neuen Direktor und zu dem einflussreichen jungen Mann aus der Wissenschaftsabteilung zu ruinieren. Mascha hat sich furchtbar aufgeregt, hat sogar nachts nicht schlafen können deswegen. Sie wissen doch, in was für einer Zeit wir leben. Morgen werden wir anfangen, die neue Apparatur zu montieren. Ich habe gesehen, mit welchem Blick Sie sie angesehen haben. Und das wollen Sie alles aufs Spiel setzen für ein paar hohle Phrasen …«
»Langsam, langsam«, fiel ihm Strum ins Wort. »Ich krieg ja keine Luft mehr …«
»Ach, zum Teufel«, unterbrach ihn Sokolow wieder, »bei Ihrer Arbeit wird Sie niemand stören. Da haben Sie so viel Luft, wie Sie wollen.«
»Wissen Sie, mein Lieber«, sagte Strum mit säuerlichem Lächeln, »Sie meinen es gut mit mir, und ich danke Ihnen von Herzen. Wenn wir aber schon dabei sind, uns gegenseitig die Wahrheit zu sagen, dann gestatten Sie auch mir die bescheidene Frage, warum, zum Teufel, Sie sich vor Swetschin so über Dmitri Petrowitsch geäußert haben. Nach der Kasaner Gedankenfreiheit geht mir das irgendwie besonders nah. Was mich selbst betrifft, so bin ich leider immer noch nicht so verzweifelt, wie ich offenbar sein sollte. Ich bin kein Danton, wie wir als Studenten immer gesagt haben.«
»Gott sei Dank sind Sie kein Danton. Offen gestanden, ich war schon immer der Ansicht, dass politische Redner nicht die Fähigkeit besitzen, sich in schöpferischer Arbeit zu verwirklichen, aber wir beide haben sie.«
»Sieh mal einer an«, sagte Strum, »und was ist mit dem Franzosen Galois? Und was ist mit Kibaltschitsch?«
Sokolow schob den Stuhl zurück und sagte: »Kibaltschitsch hat immerhin auf dem Schafott geendet, was ich meine, ist das leere Geschwätz, na, von der Art, wie es Madjarow praktizierte.«
Strum fragte: »Dann bin ich wohl auch ein Schwätzer?«
Sokolow zuckte schweigend die Achseln.
Der Streit der beiden würde bald begraben sein, zumindest nahmen sie das an, denn auch ihre früheren Zwistigkeiten und Zusammenstöße waren immer bald vergessen gewesen. Doch diesmal schienen die Wunden, die sie sich beigebracht hatten, nicht heilen zu wollen. Wenn das Leben eines Menschen mit dem eines anderen freundschaftlich verbunden ist, dann kommt es wohl vor, dass man sich streitet und dabei auch einmal ungerecht ist, aber die beiderseitige Verstimmung verfliegt meist rasch und hinterlässt keine Spuren. Wenn sich aber eine innere Entfremdung zwischen zwei Freunden abzuzeichnen beginnt, ohne dass die beiden es zunächst ahnen, dann kann auch ein zufälliges Wort, eine kleine Unhöflichkeit einer Freundschaft den Todesstoß versetzen.
Häufig liegt diese innere
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