Lebendig und begraben
Unter der Guillotine. Kluge Firmenbosse kaufen bei Geschäftsauflösungen.
Aber David Schechter hatte keine Teilhaber, denen er Rede und Antwort stehen musste. Seine Mandanten scherten sich nicht darum, dass sie mit seinen Stundensätzen auch die teuren Möbel finanzierten. Für die meisten Mandanten war der Reichtum eines Anwalts gleichbedeutend mit seinem Erfolg.
Ich bemerkte eine weitere Doppeltür aus Mahagoni. Als ich sie aufzog, schaltete sich die Deckenbeleuchtung ein.
Das hier war Schechters Privatarchiv. Hier verwahrte er die Dokumente, die zu brisant waren, um sie zusammen mit den anderen Akten in der Firmenzentrale zu lagern, wo jeder Zugriff auf sie hatte.
Jeder Stahlarchivschrank war mit einem Kaba-Mas-Hochsicherheitsschloss versehen. Ein elektromechanisches X-09, das den höchsten Sicherheitsanforderungen der US-Behörden entspricht und gemeinhin als unüberwindlich gilt.
In Wahrheit kann es ein geschickter Spezialist mit einer einzigen Bohrung öffnen, wenn er an der richtigen Stelle bohrt. Ich konnte das nicht. Zum Glück musste ich es auch nicht. Die Schlösser hielten zwar Aufbruchsversuchen stand, die Schränke selbst jedoch nicht. Bei ihnen handelte es sich um ganz normale, vierzügige Archivschränke, aber nicht um GSA-geprüfte Klasse-6-Sicherheits-Archivschränke. Genauso gut hätte man Schlösser für eintausend Dollar an einer Pappmascheetür anbringen können, die selbst ein Kind eintreten konnte.
Ich suchte mir den Schrank aus, der mit H-O beschriftet war, weil ich hoffte, dort Marshall Marcus’ Akte zu finden. Kniend führte ich einen Blechstreifen zwischen die unterste Schublade und den Rahmen. Erwartungsgemäß ließ sich der Verschlussriegel hochschieben.
Dann öffnete ich die oberste Schublade und ging die einzelnenHängeregister durch. Zuerst wirkten sie wie Akten von Mandanten, alte und aktuelle.
Aber das waren keine gewöhnlichen Mandanten. Es war ein Who-is-Who der Reichen und Mächtigen. Hier befanden sich die Akten einiger der einflussreichsten Personen des öffentlichen Lebens in den Vereinigten Staaten der letzten drei oder vier Jahrzehnte. Es waren Namen von Personen, meistens Männer, obwohl es auch ein paar Frauen gab, die in Amerika das Sagen hatten. Nicht alle davon waren berühmt. An einige konnte man sich, wenn überhaupt, nur noch vage erinnern. Dazu gehörten ehemalige Direktoren der NSA und der CIA, Staats- und Finanzsekretäre, bestimmte Richter des Obersten Bundesgerichts, Verwaltungschefs aus dem Weißen Haus, Senatoren und Kongressabgeordnete.
Aber es war ausgeschlossen, dass David Schechter auch nur einen Bruchteil von ihnen vertreten haben konnte. Welche Art juristischen Beistands hätte er ihnen überhaupt bieten können? Was hatten diese Akten also zu bedeuten?
Während ich noch versuchte zu begreifen, was diese Namen verband, fiel mir ein Name ins Auge.
MARK WARREN HOOD, LTG, USA
Lieutenant General Mark Hood. Der Mann, der die verdeckten Operationen bei der DIA, dem militärischen Nachrichtendienst, geleitet hatte, bei dem ich früher einmal angestellt gewesen war.
Ich zog die braune Aktenmappe heraus. Sie war zwei Zentimeter dick. Aus irgendeinem Grund begann mein Herz zu pochen, als hätte ich eine Vorahnung.
Die meisten Dokumente waren vom Alter vergilbt. Ich blätterte sie schnell durch. Mir war nicht klar, was sie hier zu suchen hatten.
Dann bemerkte ich plötzlich ein Wort, das mit blauer Tinte auf den Kopf jeder Seite gestempelt war: MERCURY.
Hier war es also.
Und irgendwie gab es über meinen alten Boss sogar eine Verbindung zu mir.
Die Erklärung war zum Greifen nah, wenn es mir nur gelang, aus den Spalten voller Zahlen schlau zu werden. Es waren kryptische Abkürzungen, vielleicht Codes. Ich blätterte Seite um Seite um, weil ich hoffte, einen Satz oder ein Wort zu finden, das etwas Licht ins Ganze bringen konnte. Ich hielt bei einem Foto inne, das an eine Karteikarte geheftet war. Oben auf der Karte standen die Worte BESCHEINIGUNG ÜBER AUSSCHEIDEN ODER ENTLASSUNG AUS DEM AKTIVEN DIENST. Es waren militärische Entlassungspapiere. Ein DD-214-Formular. Der Mann auf dem Foto hatte einen Bürstenhaarschnitt und war ein paar Kilo leichter als heute.
Tatsächlich dauerte es ein paar Sekunden, bis ich mich selbst erkannte.
Der Schock saß so tief, dass ich das leise Schlurfen auf dem Teppich hinter mir erst hörte, als es schon zu spät war. Dann spürte ich einen harten Schlag seitlich auf meinem Kopf. Ein scharfer, betäubender
Weitere Kostenlose Bücher