Lebendig und begraben
Gang.«
»Ich habe das Foto an unsere fünfundsiebzig Justizattachés in der ganzen Welt geschickt und sie darum gebeten, es von den lokalen Strafverfolgungsbehörden überprüfen zu lassen. Vielleicht haben wir Glück.«
»Ja, vielleicht«, sagte ich skeptisch. »Man sollte glauben, dass man sich an einen Typ mit einer Eule auf Kopf und Rücken ziemlich gut erinnern kann. Die Leute würden so einen Anblick vermutlich nicht so schnell vergessen.
»Schlau ist das nicht. Eulen sollten eigentlich schlau sein.«
»Eine durchschnittliche Stadttaube ist zehnmal schlauer als die schlaueste Eule. Mit Schläue hat das nichts zu tun, sondern mit Angstmachen. In manchen Kulturen ist eine Eule ein Symbol des Todes«, sagte ich. »Ein schlechtes Omen. Die Prophezeiung des Todes.«
»Wo? In welchen Ländern?«
Ich dachte einen Moment lang nach. »In Mexiko, Japan und Rumänien, glaube ich. Vielleicht in Russland. Hast du schon mal gesehen, wie eine Eule jagt?«
»Klingt zwar seltsam, habe ich aber noch nicht.«
»Sie bewegt den Kopf von einer Seite auf die andere, hoch und runter. Sie beobachtet und lauscht. Sie peilt ihre Beute genau an. Es gibt wirklich kein Lebewesen, das perfekter und skrupelloser tötet.«
51. KAPITEL
»Hallo, Mr. Heller«, sagte Jillian Alperin, als ich ins Büro kam.
»Dorothy sucht nach Ihnen.«
»Du darfst Nick zu mir sagen«, erklärte ich ihr bestimmt schon zum zwanzigsten Mal, seit sie für mich arbeitete.
»Danke, Mr. Heller. Aber ich fühle mich dabei einfach nicht wohl.«
»In Ordnung«, sagte ich. »Dann nenn mich einfach El Jefe.«
»Wie bitte?«
Mir fiel der Schmetterling auf ihrer rechten Schulter auf. Sie trug so eine Art Spaghettiträger-Hemd aus Spitze, das an ihrer Taille ein paar Zentimeter unbedeckt ließ. Ihr Nabel war gepierct. »Was bedeutet das … dieser Schmetterling?«, fragte ich.
»Er ist ein Symbol für Freiheit und Metamorphose. Ich habe ihn, seit ich aufgehört habe, Leichen zu essen.«
»Du warst mal eine Kannibalin? Davon stand gar nichts in deiner Bewerbung.«
»
Wie bitte?
Ich meine, ich habe früher Fleisch gegessen. Ich habe auch ein ›Fleisch-ist-Mord‹-Tattoo auf meinem Hintern. Wollen sie es mal sehen?« Sie richtete sich auf und drehte sich um.
Dorothys Stimme klang schrill, als sie näher kam. »Jillian, du kannst deine Arschgeweihe nach der Arbeit und in deiner Freizeit zeigen. Außerdem sollten wir beide uns mal über angemessene Bürokleidung unterhalten.«
»Sie haben gesagt, ich müsste keine hochhackigen Schuhe tragen.«
Dorothy schüttelte den Kopf. »Ich habe das Foto, das Sie geschickt haben«, sagte sie zu mir. »Ich habe die Tätowierungen gegoogelt, aber bisher noch ohne Erfolg.«
»Mein Bruder arbeitet in einem Tattoostudio in Saugus«, sagte Jillian.
»Wie wäre es, wenn du die Tonerkartusche wechseln würdest, wie ich dich gebeten habe?«, meinte Dorothy.
In meinem Büro sagte ich: »Helfen Sie mir doch mal auf die Sprünge, warum Sie Jillian eigentlich eingestellt haben.«
»Sie ist eine sehr, sehr intelligente junge Frau.«
»Das ist mir bisher entgangen.«
»Ich gebe ja zu, dass sie, um den Bürokram zu begreifen, etwas länger braucht, als ich erwartet hatte.«
»Aber geht es bei ihrem Job nicht
ausschließlich
um den Bürokram?«
»Geben Sie ihr eine Chance«, ermahnte Dorothy mich ernst. »Oder Sie können ihre Nachfolgerin selbst einstellen. Wenn wir jetzt bitte wieder zur Sache kommen könnten. Ich habe eine Spionagesoftware in unserem Netzwerk gefunden.«
»Was für eine Art Spionagesoftware?«
»Nun, ein Virus. Er hat sich in unser Intranet geschlichen und einen Trojaner installiert, der durch diese Hintertür Daten übermittelt. Er hat jetzt schon seit ein paar Tagen alle unsere Festplatten nach geschützten Dateien durchsucht und sie nach draußen geschickt.«
»So sind sie also an meine Zugangscodes gekommen«, sagte ich. »Und wo wurden die Sachen hingeschickt?«
Dorothy schüttelte den Kopf. »Die wurde so oft über Proxyserver hin und her gejagt, dass man das kaum noch feststellen kann. Aber ich habe den Virus ausgemerzt. Jetzt sollte er weg sein.«
»Wie ist er überhaupt in unser System gekommen?«
»Daran arbeite ich noch. Ich …«
Meine Gegensprechanlage summte, und Jillian meldete sich: »Sie haben einen Besucher.«
Ich schaute Dorothy an, die mit den Schultern zuckte. »Name?«
»Belinda Marcus«, meinte Jillian.
52. KAPITEL
»Ich bin
krank
vor Sorge um Marshall«, sagte Belinda.
Weitere Kostenlose Bücher