Lebens-Mittel
keinesfalls ersetzt war.
Wie ist das jetzt wieder passiert? Ich würde behaupten, dass der Nährstoffwahn daran genauso viel Schuld trägt wie der Verzehr von Kohlenhydraten als solcher – und wie die menschliche Natur. Weil in den Ernährungsempfehlungen von guten und schlechten Nährstoffen die Rede war und der Rat, wir sollten von allen Nahrungskategorien weniger essen, begraben wurde, konnte die Botschaft der Ernährungsrichtlinien von 1977 und 1982 für den Hausgebrauch leicht wie folgt vereinfacht werden: Esst mehr fettarme Lebensmittel . Und genau das haben wir getan. Wir sind immer froh, wenn wir die Erlaubnis erhalten, mehr von etwas zu essen (denkbare Ausnahme: Haferkleie), und diese Erlaubnis hat der Nutritionismus uns zuverlässig geliefert: fettarme Kekse damals, kohlenhydratarmes Bier heute. Es ist schwer vorstellbar, dass der Fettarm-kohlenhydratreich-Hype so in Schwung gekommen wäre, wie es der Fall war, oder unsere kollektive Gesundheit sich so verschlechtert hätte, wie sie es getan hat, wenn McGoverns ursprüngliche, von Lebensmitteln handelnde Empfehlung Bestand gehabt hätte: Esst weniger Fleisch und weniger Milchprodukte . Denn wie hätten Sie von diesem eindeutigen Rat den Bogen zu der Idee schlagen können, eine weitere Packung fettreduzierter Plätzchen wäre genau das, was Ihr Arzt Ihnen verordnet hat?
Sie sehen, wie attraktiv der Nutritionismus für alle betroffenen Parteien ist, für die Verbraucher genauso wie für die Hersteller, von den Ernährungswissenschaftlern und Journalisten, die er unentbehrlich macht, ganz zu schweigen. Die Ideologie liefert ein achtbares Argument für die Schaffung und Vermarktung neuartiger, weiterverarbeiteter Nahrungsmittel aller Art und gibt gleichzeitig den Verbrauchern die Erlaubnis, sie zu essen. Zudem bietet jede Kurskorrektur bei den nutritionistischen Ratschlägen einen Anlass, neue Bücher und Artikel über Ernährung zu schreiben, eine neue Produktlinie auf den Markt zu werfen und einen ganzen Rattenschwanz noch gesünderer neuer Lebensmittelprodukte zu essen. Und wenn ein Produkt per Absicht und offiziellen Segen gesund ist, muss es auch gesund sein, ganz viel von ihm zu essen – vielleicht sogar noch gesünder.
Der Nutritionismus war vielleicht das Beste, was der von den Grenzen des Wachstums gebeutelten Lebensmittelindustrie passieren konnte. Denn die Zahl der Esser nahm nicht annähernd so schnell zu, wie für die Lebensmittelmacher notwendig war, wenn sie die Erwartungen der Wall Street erfüllen wollten. Der Nutritionismus löst das Problem des vollen Magens, wie es in der Geschäftswelt genannt wurde: Die Tatsache, dass die Nachfrage nach Lebensmitteln im Vergleich zu anderen Verbrauchsgütern reichlich unflexibel war. Die Leute konnten nur eine bestimmte Menge essen, und weil die Tradition und die Gewohnheit ihre Entscheidungen lenkten, tendierten sie dazu, immer das gleiche altbekannte Zeug zu essen. Aber jetzt nicht mehr! Der Nutritionismus begünstigt nicht nur eine ständig wachsende Zahl neuartiger, stark bearbeiteter Lebensmittelkategorien (die in der Herstellung bei Weitem am profitabelsten sind); zur Absatzförderung dieser Produkte zieht er auch die Ärzteschaft und die Behörden heran. Wenn Sie es geschickt anstellen, kriegen Sie sogar die American Heart Association dazu, Ihren neuen Frühstückszerealien das Prädikat »gesund fürs Herz« zu verleihen. Die FDA hat gerade einer neuen Gesundheitsbehauptung für Frito-Lay-Chips ihr Okay gegeben, mit der Begründung, der Verzehr von Chips, die in mehrfach ungesättigten Fetten frittiert seien, könne Ihnen helfen, Ihren Verzehr an gesättigten Fetten zu reduzieren, und so Ihrem Herz-Kreislauf-System guttun. So marschiert ein allseits bekanntes Junkfood durch das Nadelöhr der nutritionistischen Logik und taucht auf der anderen Seite als scheinbar gesundes Lebensmittel wieder auf.
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Und der Genuss?
Uns Essern nützt der Nutritionismus leider nicht annähernd so viel wie den Lebensmittelproduzenten. Abgesehen von der Erlaubnis, von der neuesten abgesegneten nahrungsähnlichen Substanz mehr zu essen – was wir bestimmt zu schätzen wissen -, fördert der Nutritionismus beim Kaufen und Essen von Nahrung die Unsicherheit. Wenn wir es richtig machen wollen, müssen wir die neueste wissenschaftliche Forschung kennen, immer längere und verwirrendere Zutatenlisten studieren 9 , immer zweifelhaftere Gesundheitsbehauptungen prüfen und dann versuchen, Lebensmittel zu
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