Lebens-Mittel
genießen, die mit ganz anderen Absichten produziert wurden, als einfach nur gut zu schmecken. Dass wir uns einige der schmackhaftesten Bestandteile des Essens als Gift vorstellen sollen, wie der Nährstoffwahn es uns im Falle des Fetts beigebracht hat, hat für unser Glück als Esser wenig getan. Die Amerikaner haben eine – um es mit Jane Brody zu sagen – »Ernährungsphilosophie« übernommen, die ganz abgesehen von der Frage, ob sie unserer Gesundheit nutzt oder nicht, dem Genuss beim Essen auf jeden Fall abträglich war.
Aber warum brauchen wir überhaupt eine Ernährungsphilosophie? Vielleicht weil wir Amerikaner immer ein Problem damit hatten, das Essen zu genießen. Jedenfalls haben wir ziemlich viel getan, den Genuss zu vermeiden. Harvey Levenstein, der die Geschichte der amerikanischen Esskultur in zwei aufschlussreichen Arbeiten beschrieben hat, meint, die schiere Überfülle an Nahrung hätte in Amerika »eine vage Gleichgültigkeit gegenüber dem Essen [hervorgebracht], die sich an der Tendenz zeigt, im Gehen zu essen, statt sich hinzusetzen und zu genießen«. Ein Essen genießen, eine Mahlzeit als ästhetische Erfahrung begreifen – das galt als Beweis für Verweichlichung, als eine Form fremdländischer Affektiertheit. Kaum etwas hat politische Kandidaten in den USA eher in Teufels Küche gebracht als die Vorliebe für kultiviertes Essen; das entdeckte schon Martin Van Buren bei seiner gescheiterten Wiederwahl-Kampagne im Jahr 1840. Van Buren hatte einen französischen Küchenchef ins Weiße Haus geholt, ein Fehler, den sein Gegner, William Henry Harrison, sofort ausschlachtete: Er verkündete mit viel Tamtam, er würde »von rohem Rindfleisch und Salz« leben. George H.W. Bushs Vorliebe für Schweineschwarten und die von Bill Clinton für Big Macs waren Präferenzen, die sich politisch vorteilhaft zur Geltung bringen ließen.
Es könnte gut sein, dass, wie Levenstein behauptet, der schiere Nahrungsüberfluss in Amerika eine Kultur gefördert hat, in der nachlässig und mechanisch gegessen wird. Aber auch unsere puritanischen Wurzeln standen dem sinnlichen oder ästhetischen Genuss am Essen im Weg. Wie der Sex verbindet das Bedürfnis zu essen uns mit den Tieren, und historisch gesehen floss ein Großteil der protestantischen Energie in das Bemühen, uns dabei zu helfen, all diese animalischen Begierden mit fester Hand im Zaum zu halten. Für die christlichen Sozialreformer des 19. Jahrhunderts war »der nackte Vorgang des Essens kaum mehr als etwas Unvermeidliches..., das nur sehr diskret als Genuss betrachtet werden durfte«. Ich zitiere aus Laura Shapiros Buch Perfection Salad , in dem sie nacherzählt, wie diese Hauswirtschaftsreformer die Amerikaner davon überzeugen wollten, »dass Essen mehr ist als animalischer Genuss und Kochen einen edleren Zweck hat, als den Appetit und den Geschmackssinn zu befriedigen«, wie einer von ihnen es formulierte. Und was könnte diese edlere Absicht sein? Solide Ernährung und gute Hygiene. Durch die Überhöhung wissenschaftlicher Prinzipien und die »Verachtung für das, was der Gaumen uns sagt«, schreibt Shapiro, »machten sie es möglich, dass die amerikanische Küche in den kommenden Jahren eine Flut schädlicher Innovationen akzeptierte« – darunter an herausragender Stelle fettarme weiterverarbeitete Nahrungsmittelprodukte.
Das verwissenschaftlichte Essen hat in Amerika also eine lange und ehrwürdige Tradition. Harvey Levenstein fasst die quasi wissenschaftlichen Überzeugungen, die über ein Jahrhundert die Einstellungen der Amerikaner zur Ernährung geprägt haben, so zusammen: »Der Geschmack ist kein zuverlässiger Führer zu dem, was gegessen werden sollte; man sollte nicht einfach das essen, was einem schmeckt; die wichtigen Bestandteile der Nahrung kann man weder sehen noch schmecken, nur in wissenschaftlichen Labors erkennen; die experimentelle Wissenschaft hat Ernährungsregeln hervorgebracht, die Krankheiten vorbeugen und ein langes Leben fördern.« Man könnte meinen, Levenstein beschreibe die wichtigsten Lehrsätze des Nutritionismus.
Zur vielleicht berühmt-berüchtigtsten Blüte pseudowissenschaftlichen Essens (einem Protonutritionismus) kam es Anfang des 20. Jahrhunderts, als John Harvey Kellogg und Horace Fletcher Tausende von Amerikanern davon überzeugten, die Lust am Essen gegen gesundheitsförderliche Diätpläne von atemberaubender Strenge und Perversion einzutauschen. Die beiden Diätgurus waren sich einig in ihrer
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