Lebens-Mittel
der Moment gekommen ist, in dem sie uns am meisten zu bieten hat, in dem sie am süßesten und nahrhaftesten ist: Ernte mich!
Nicht immer läuft im Garten alles glatt; aber auch die unvermeidlichen Misserfolge haben einen Wert. Denn wenn Ihr Obst und Gemüse weniger als spitzenmäßig und köstlich ist, werden Sie den Landwirt, der weiß, wie man es richtig macht, noch mehr schätzen.
Wenn der Korb mit dem Obst und Gemüse dann auf der Küchentheke steht, wenn wir mit dem Putzen, Schneiden und Schnippeln anfangen, denken wir an alles Mögliche – was wir zubereiten wollen, wie wir es zubereiten wollen, aber der Nährwert oder überhaupt die Gesundheit wird auf dieser Liste wahrscheinlich nicht ganz oben stehen. Wir brauchen weder Zutatenlisten noch Gesundheitsbehauptungen zu lesen, höchstens ein Rezept. Es fällt schwer, beim Anblick dieses Gemüses an Nährstoffe oder chemische Verbindungen zu denken; nein, das sind Lebensmittel, so frisch, dass sie fast noch lebendig sind und mit ihrem Geruch, ihrer Farbe und ihrem Geschmack mit uns kommunizieren. Ein guter Koch nimmt all diese sensorischen Informationen in sich auf und entscheidet erst dann, was er mit dem Korb voll Möglichkeiten auf der Küchentheke anfängt: was er womit kombiniert, und wie und in welchem Umfang er es »verarbeitet«. Jetzt ist die kulinarische Kultur am Zug, die in die bleibenden Traditionen eingebettet ist, die wir Kochkunst nennen; jede von ihnen weiß mehr über Ernährung und Gesundheit, als Sie in irgendeinem Ernährungsmagazin oder -buch finden werden. Der Koch braucht nicht zu wissen, dass das Lycopen in den Tomaten für unseren Körper leichter verfügbar wird, wenn die Tomaten mit Olivenöl zubereitet werden – was die Wissenschaftler uns vor kurzem mitgeteilt haben. Nein, der Koch wusste schon, dass Tomaten und Olivenöl wirklich ein super Gespann sind.
Als Erzeuger Ihrer Lebensmittel und Koch in Ihrer Küche wissen Sie alles über Ihre Lebensmittel, und auch noch so viel Supermarktstudium oder Etikettenlesen wird nie an diese Allwissenheit heranreichen. Nachdem Sie die Kontrolle über Ihre Mahlzeiten von den Lebensmittelwissenschaftlern und – verarbeitern zurückerobert haben, wissen Sie genau, was in Ihrem Essen drin ist und was nicht: Fructosereicher Maissirup oder ethoxylierte Diglyceride oder teilweise gehärtetes Sojaöl werfen keine Fragen auf, aus dem einfachen Grund, weil Sie nichts ethoxyliert oder teilweise gehärtet haben, und Sie haben auch nicht mit Zusatzstoffen herumgepfuscht. Es sei denn, Sie gehören zu der Art Koch, der mit einer Dose Campbells Pilzrahmsuppe anfängt – dann ist natürlich alles möglich. Es ist kein Pappenstiel, diese Kontrolle über die eigene Ernährung einzufordern und sie Industrie und Wissenschaft abzunehmen; heute gilt es fast schon als subversiver Akt, aus Basislebensmitteln ein Essen zuzubereiten und die eigene Nahrung selbst anzubauen.
Subversiv deshalb, weil es den Nutritionismus unterminiert: den Glauben, dass es bei Lebensmitteln in erster Linie um die Ernährung geht und diese eine so komplizierte Angelegenheit ist, dass nur Experten und die Industrie sie zur Verfügung stellen können. Diese Lebensmittel – dieses vollkommene oder doch fast vollkommene Obst, Gemüse, Fleisch – sind so frisch, dass es unmöglich ist, sie für eine Ware zu halten, oder für einen Brennstoff, oder für eine Ansammlung chemischer Nährstoffe. Nein, in den Augen des Kochs, des Gärtners oder des Landwirts, der diese Nahrung angebaut hat, zeigt sie sich als das, was sie ist: kein Ding, sondern ein Netz aus Beziehungen zwischen zahlreichen Lebewesen, von denen einige Menschen sind, andere nicht, die aber alle aufeinander angewiesen sind, letztendlich im Boden verwurzelt, von der Sonne genährt. Ich denke an die Beziehung zwischen Pflanzen und Boden, zwischen dem Erzeuger und den von ihm aufgezogenen Pflanzen und Tieren, zwischen Koch und Erzeugern und an die Beziehung zwischen dem Koch und den Menschen, die gleich am Tisch sitzen werden, um diese Mahlzeit gemeinsam zu genießen. Es ist eine große Gemeinschaft, die es zu versorgen gilt und die ihrerseits uns versorgt. Der Koch in der Küche, der am Ende dieser kürzesten aller Nahrungsketten aus Pflanzen und Tieren eine Mahlzeit zubereitet, muss sich um vieles kümmern, aber »Gesundheit« gehört sicher nicht dazu, denn die ist selbstverständlich.
Dank
Ich habe Ein Plädoyer für Lebensmittel zwei Herausgebern gewidmet, Ann Godoff und
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