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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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Aussee nüchtern anzurichten imstande ist, wenn er besoffen schon so schießt wie der Cary Grant drüben im Wilden Westen!

Ansehen und Respekt
    Über dem Auerhahn liegt Ruh’.
    Die Väter von den Rotzbuben sind allesamt nach der Demonstration von der Biermösel‘schen Pädagogik mit nach innen gekehrtem Blick und schlotternden Knien heimgegangen, da hat sich der Rauch aus seiner Glock noch gar nicht vollends nach Goisern hinüber verzogen. Die Roswitha hat dann gleich zugesperrt, worauf hätte sie warten sollen? Nur der Biermösel sitzt noch immer herunten in der Gaststube und tunkt das Bratlfett auf, das heute wieder übrig geblieben ist und das ihm die Roswitha immer als Betthupferl auftischt.
    Ob seine heute demonstrierte Pädagogik gewirkt hat?, fragt er sich innerlich. War ich hart und bestimmt genug? Bin ich angemessen entschieden und nachdrücklich aufgetreten und genieße ich kurz vor meinem Lebensabend überhaupt noch das gewisse Ansehen, das den mutmaßlichen Verdächtigen die nötige Angst einjagt, damit sie mir die Wahrheit über die Rotzbuben auf dem Silbertablett servieren?
    Er weiß es nicht.
    Und wie das mit dem Ansehen und dem Respekt sein wird, wenn er dem Staatsdienst, dem Trottelwerk, den Rücken gekehrt haben wird und ohne Gendarmeriekrusterl herumlaufen muss, das will er erst gar nicht wissen.
    Verzweifelt wehrt er sich gegen die inneren Bilder der Nacktheit, der Entblößung, indem er doch noch eine Flasche Marillenschnaps aufreißt. Aber obwohl er die Flasche gleich bis zur Hälfte auszwitschert, dringen genau diese Bilder immer wieder durch den Nebelschleier vor seinem Hirn in seine Augen, und er sieht:
    Dass ihm die Rotzbuben den Gehstock wegnehmen werden, wenn er dereinst ohne Uniform um den See herumspaziert, buckelig und mit offenen Venen. Halb blind wird er sein, wie es ausschaut, und von Hören wird auch keine Rede mehr sein können. Sie werden ihm den Wetterfleck ins Wasser schmeißen und ihn mit Kuhscheiße bewerfen, wenn er bald keine Autorität mehr sein wird, der man eine Kiste Marillenschnaps auf den Posten vorbeibringt, um eine unangenehme Sache halbwegs angenehm aus der Welt zu räumen. Keiner wird sich mehr vor Angst in die Hose scheißen, wenn er pädagogisch wird. Die Rotzbuben werden ihm das Bremskabel von der Fips durchschneiden, sodass es ihn herstreuen wird und er sich den Schädel ruiniert. Die Anni wird ihn auslachen und überall herumerzählen, dass er sich in ihrer Gegenwart angewischelt hat, dass alle Dämme gebrochen sind, dass bei ihm immer die schwache Natur über den starken Willen obsiegt. Und sie wird weiters erzählen, dass seine Mon Chéri schon über zehn Jahre abgelaufen war, du meine Güte! Der Grasmuck wird schnell Anschluss finden drüben im Siechenheim in Goisern. Der wird sich um die Heiligen kümmern, die dort überall herumstehen, der passt sich halt an wie der Frosch dem Laub. Nur er selbst wird alleine bleiben. Er wird sich nicht anpassen und sich an keinen Tisch zusammen mit anderen setzen. Lieber wird er allein in seinem Zimmer bleiben.
    „Kommst du dann?“, schreit die Roswitha aus ihrer Kammer herunter. „Kommst du dann und schmierst mich ein?“
    „Ja“, schreit der Biermösel zurück, „ich komm dann und schmier dich ein!“
    Da schaut er noch einmal beim Fenster hinaus und sieht jetzt die Blitze über dem Gebirgskamm zucken, in dessen Schutz der Auerhahn liegt. Und die mächtigen Bäume da draußen, die sich in den gewaltigen Stürmen wiegen und sich vor ihm verbeugen, während die Blitze zuckend sie erhellen, die jagen ihm jetzt sogar ein bisserl Angst ein und machen ihn nachdenklich.
    Er denkt: So mächtig stehen sie da draußen, die gewaltigen Baumriesen, so stoisch wie ein Chinese. Stark und entschlossen trotzen sie den Gewalten der Winde, welche die Natur in ihrer unermesslichen Vielfalt für sie bereithält, aus Süden und Norden, aus Osten und Westen setzen sie den Bäumen zu. Gar unbesiegbar scheinen sie, die Herrscher des Waldes. Und doch kann keiner von ihnen verhindern, dass ein Blitz ihn spaltet und ihn vernichtet, wenn seine Zeit gekommen ist.
    So ist sie halt, die Natur, denkt sich der Biermösel und trinkt jetzt die Flasche ganz aus. Sie spaltet dich einfach und macht dir den Garaus, gerade wann es ihr gefällt.
    Naja.
    „Kommst du dann?“, hört er die Roswitha noch einmal schreien.
    „Ja, ich komm dann“, schreit er noch einmal zurück, und er denkt sich:
    Wenigstens die Roswitha ist ihm noch geblieben.

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