Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
Vom Netzwerk:
Hobo! Hobo, go, go!
    Konfuzius sagt: „Lausche stets aufmerksam den Geräuschen deiner Umgebung, während du auf dem Weg zu deinem Ziel bist. Sie verraten dir deine Bestimmung.“ Das sagt Konfuzius.
    Vor zwei Jahren hörte er das laute Hupen eines Reisebusses des Rosenkranzsühnekreuzzuges, das Quietschen der Reifen, den Schrei des Fahrers, der ihn dann doch über den Haufen fuhr, so knapp vor seinem Ziel Deutschland. In der Folge war es ihm wohl von der Vorsehung bestimmt, in diesem Aussee zu verweilen. Das will er gerne hinnehmen in aller Demut. Aber jetzt ist Schluss mit Unlustig. Was er heute hört, das macht ihn froh. Was er jetzt riecht, das macht ihn trunken! Er ist wieder unterwegs, und frohen Mutes singt er in die Nacht hinaus:
    „Go, go Hobo! Hobo, go, go!“
    Aaaaaaaah! Dieser meterlange orangene Funkenflug, der sich wie ein Komet von den Rädern löst! Dieser wunderbare Duft alter hölzerner Schwellen, die er unter sich vorbeirasen sieht! Herrlich, das monotone Rattern der Räder über die Schienen, tatak tatak tatak, und das brutale und gefährliche Zittern, wenn seine Garnitur über eine Weiche rast! Wie sehr hat er ihn vermisst, den heftigen und lebensgefährlichen Windstoß, wenn ein Gegenzug an ihm vorbeirast! „Go, go Hobo! Hobo, go, go!“, singt er. „Auf in den Süden!“ Er, Mao Tse Tung nicht verwandt nicht verschwägert, ist wieder unterwegs. Nur dieser beständige feine Nebel von Pisse und – Pflatsch, Pflatsch, Pflatsch! – dieses Geräusch von dicht an ihm vorbeifliegender Scheiße verleidet ihm ein wenig die Reise.
    Wieder ein paar Argumente mehr, dass diese Reise seine endgültig letzte sein soll!
    Nur Zentimeter neben den messerscharfen Rädern des Erste-Klasse-Waggons hat er es sich den Umständen entsprechend relativ bequem eingerichtet, danke, er kann nicht klagen. Er reist ohne gültige Fahrkarte in diesem Schacht unterhalb des Waggonscheißhauses, in dem normalerweise der Auffangbehälter hängen sollte. Den musste er aber leider entfernen, als er am Bahnhof in Nang-Pu seine Reise antrat. Aber für einen erfahrenen Refugee in permanence heißt überleben ohnehin improvisieren. Und Gott sei Dank ist er auch mit seinen 45 Jahren noch immer fit wie Genosse Deng Xiao Ping als junger Hüpfer. Seine steinharte Bauch- und Rückenmuskulatur lässt ihn locker und auch über weiteste Strecken die notwendige Körperspannung halten, während er Hinterkopf und Fersensporn auf den Längsverstrebungen jeweils auf münzgroßen Flächen gebettet hat. Sein Restkörper schwebt dabei parallel zur Radachse nur einen halben Meter über dem Abgrund, wie eine Hängebrücke über den gelben Fluss. Jetzt schlägt er sogar noch lässig die Beine übereinander, das linke über das rechte, und entspannt verschränkt er den linken Arm hinter seinem Kopf. Mit der rechten Hand hält er ein Streichholz gegen das Waggonrad und zündet sich damit eine selbst gedrehte getrocknete Zwiebelschale an, die er neuerdings raucht, seit er sich keine Zigaretten mehr leisten kann. Dann zieht er den Express-Brief seines Bruders aus der Hosentasche heraus, der ihn noch knapp vor seiner Abreise erreicht hat und den er jetzt endlich im Schein der Glut seiner Zwiebelschale Zeit und Muse findet zu lesen:
    LotKleuz-Notragel Stluderwassel a.d. Odel.
Deutschland in Helbst 2003
Riebel Riebel Bludel Mao Tse Tung, eng velwandt, nicht velschwägelt!
    Bin sehr taurig Das Leben in der Fremde bricht mir das Herz. Habe ich dir im Sommer geschrieben, dass ich habe gefunden Schwarzarbeit in Schiessbudenbranche? Schon wieder verloren! Und viele viele Zähne auch, zusammen fünf, dazu Nasenbein drei Zentimetel in Hirn geschoben, furchtbar!
    Schlimme schlimme Mann mit weiße Anzug mich schlagen halbtot, Sau depperte. Und vorher er mir ausspannt affaire! Ich mich hängen an schlimme Mann wie Bruce Lee, um zu retten was zu retten ist, aber er mich mit sehr schneller links-rechts-Drehbewegung schießen in Schießbude, schlimm! Bürgerkriegsähnliche Zustände in Osten von Deutschland. Du besser bleiben in Aussee, gute Luft, gute Menü, sehr sauber, hier viel viel Blutbad dauernd.
    Denke immer an Mutti in Shezuan, gute Mutti immer gut kochen Hund mit Reis. Viel arm in Shezuan, aber glücklich, nicht wahr?
    Danke fiir Hund „Möse“ du mir schicken express, viele viele danke! Essen hier furchtbar, immer nur Currywurscht. Aber Fleisch von die „Möse“ sehr gut, sehr saftig. Hund immer viel viel gut, wenn mit Reis und Ketchup. Aber ich wieder

Weitere Kostenlose Bücher