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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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seiner Situation wahrlich nicht leisten. Hätte er sich verliebt, wer weiß, ob er dann gestern diesem durchgedrehten Volkspolizisten in Muselmanin-Verkleidung entkommen wäre, der ihm plötzlich und aus dem Hinterhalt heraus kommend das beste Stück seines gebratenen Hundes aus der Hand gerissen hat.
    So aber kann er jetzt in aller Ruhe und ohne lästigen Anhang den Befreiungsschlag wagen. Deutschland als Ziel hat er abgehakt, jetzt will er nur noch in den Süden. Der EC Marco Polo von Nang-Pu nach Afrika soll planmäßig in vier Tagen um 15.34 Uhr in Tripolis ankommen. Schon freut er sich auf ein paar unbeschwerte Tage am Strand. Er war schließlich immer der „Das-Glas-ist-halb-voll-Typ“, und aufgeben tut ein Flüchtling höchstens einen Brief in die Heimat!
    Darum will der Mao jetzt nicht mehr ausschließen, dass nach all dem Zirkus in der westlichen Welt dort unten bei den Unterentwickelten doch noch eine Karrierechance für ihn bereitliegen könnte. Er wird sich, so ist sein Plan, noch einmal umschulen lassen und von Zwiebelschäler auf Menschenschmuggler umsatteln. Im Menschenschmuggel soll das ganz große Geld auf der Straße liegen, hat er gehört, und mit seiner Erfahrung und seinen Sprachkenntnissen müsste es für ihn ein Leichtes sein, sich dort unten endlich ein sicheres Standbein aufzubauen. Bald ist es nämlich höchste Eisenbahn, dass auch er sich ein paar Scheinchen zur Seite legt und sich endlich ein solides Finanzpölsterchen schafft. Trotz seiner in den letzten Jahren beinahe zum Hass gesteigerten Abneigung gegen den westlichen Revolver-Kapitalismus wird auch er mit seinen 45 Lebensjahren nicht mehr umhin kommen, für seinen Lebensabend private Vorsorge zu treffen. Pensionsjahre im viel gerühmten Drei-Säulen-Modell des Westens konnte er als Reisaufkocher und Zwiebelschäler über all die Jahre nämlich keine sammeln. Da wäre er sogar in der Volksrepublik mit ihrer grundsoliden Basisversorgung heute besser dran!
    War es vielleicht überhaupt ein Fehler, dass er vor 15 Jahren den langen Marsch angetreten hat, fragt er sich nun, als er die Zwiebelschalen ausdämpft und sich wieder auf die andere Seite dreht, um ein wenig zu schlafen.
    Eine unendliche Müdigkeit übermannt ihn plötzlich nach all den Jahren der sinnlosen Reisen, und die Nacht senkt sich bleischwer auf seine Lider, als die Stationen seiner Flucht noch einmal an seinem inneren Auge vorbeiziehen, in rasendem Tempo, wie die Schwellen des Gleiskörpers unter ihm.
    Aber was ist denn nun schon wieder, was muss er hören?
    Das dumpfe Dröhnen des Signalhorns, das der Zugführer in die dunkle Nacht hinaus bläst, reißt ihn plötzlich aus seiner Erinnerungen, und die glühenden Funken der nun blockierenden Räder verbrennen ihm das Gesicht.
    „Höre stets auf die Geräusche deiner Umgebung“, erinnert sich der Mao wieder der Lehren des Konfuzius. „Sie verraten dir deine Bestimmung.“
    Und er fragt sich:
    „Nähere ich mich denn schon wieder einer Gefa...
    Aaaaaaaaaaaaaaahhhhhrr!!“

Triumph des Wartens
    Dass die Leute nicht aufpassen können, das versteht er einfach nicht! Kann denn der Volltrottel im Lokomotivführerhaus nicht hupen, sodass ihn der andere Volltrottel im Autobusführerhaus hören und er rechtzeitig abbremsen kann? Ist denn wirklich nicht mehr genug Platz auf der Welt, dass sich alle gegenseitig über den Haufen fahren müssen, immer und überall?
    Das hat dem Biermösel jetzt fast ein bisserl die morgendliche Sitzung verleidet, weil es immer so blöd zugehen muss auf der Welt, aber wirklich so blöd! Weil ihm jetzt aber auch nach der Rückkehr vom Klo noch ganz schön die Zeit lang ist, schaut er sich am Schreibtisch sitzend immer wieder die schrecklichen Bilder in der Zeitung an, die er sich gerade vorhin beim Klausner Otto unten in der Trafik gekauft hat. Und auch wenn die Fotos natürlich in ihrer Blutopernhaftigkeit mehr als grauslich sind, so muss er doch sagen: Man schaut sich so was dann schon immer wieder gerne an! Vor allem, wenn es weit weg passiert ist und das alles nichts mit einem selbst zu tun hat.
    Soweit er also jetzt den Fotos und ein wenig auch den Bildtexten entnehmen kann, muss es ganz ordentlich gestaubt und gekracht haben, wie gestern unten in Kärnten kurz vor der Grenze nach Italien und kurz vor Sonnenaufgang ein Autobus voll mit einem Haufen polnischer Rosenkranzbeterinnen in den IC Marco Polo voll mit einem Haufen braver österreichischer Touristen gerast ist, beziehungsweise

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