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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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zurück wollen nach Shezuan zu Mutti! Oder zu dir nach Aussee? Aussee gut?
    Eigentlich wollte er diesen Brief schon gestern in der ersten Stunde des verpflichtenden Deutschkurses für Ausländer lesen. Doch auch dorthin gab ihm dieser verrückte Seebachwirt zwei Kübel mit Zwiebeln mit, die er schälen und schneiden sollte, bald fällt ihm wirklich die Hand ab! Aber wie es jetzt unter dem Waggon hängend aussieht, wo ihm schon wieder ein schönes Stück Scheiße um die Ohren pfeift, hat er das Pech ohnehin gepachtet.
    Heute, als Flüchtling in den besten Jahren, kann er zusammenfassend sagen, dass er es zu Hause in Shezuan wohl auch nicht schlechter erwischt hätte als in der Fremde und insbesondere in diesem scheißkalten Aussee, wo er während der letzten zwei Jahre als Illegaler für diese kulturlosen Schweinefresser tonnenweise Zwiebeln schälen musste. Dabei war es zunächst der Reis, der seinen Alltag als Flüchtling prägte, seit er vor bald fünfzehn Jahren an einen total überforderten Nebenerwerbsschlepper geraten war, der ihn zunächst in die genau verkehrte Richtung von Shezuan in die Innere Mongolei hinauf gebracht.hatte (wo er zwei Jahre in der Yak-Branche als Illegaler Reis für die Hirten aufkochen durfte), danke herzlich! Aus der Mongolei schaffte er es auf abenteuerlichen Schleichwegen schließlich doch wieder retour nach China und dann wenigstens in die halbwegs westliche Richtung über Kasachstan, Kirgisien, Georgien, Usbekistan (wo er jeweils ein Jahr in der Kantine eines Erdölmultis als Illegaler Reis aufkochen musste, was denn sonst!) endlich in die Türkei und so zumindest in die Nähe von Europa, wo er vier Jahre in einer Kebab-Bude hinter dem Ofen stand und sich um die – genau! – Reisbeilagen kümmern durfte!
    Weil er sprachbegabt war, saugte er dabei die jeweiligen Landessprachen auf wie der Reis das Wasser. Wenn sie nächstes Jahr den UNO-Generalsekretär wählen, dann wäre wohl keiner besser dafür geeignet als er. In seinem Lebenslauf würde dann noch zu lesen sein, dass er von der Türkei zwar relativ flott hinauf nach Bulgarien flüchten konnte (ein Jahr in der Werkskantine eines Rüstungskonzerns – erraten! – Reis aufgekocht), von wo es aber über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien (wenn diese Mückenschisse auf der Landkarte zusammengeblieben wären, hätte er sich auch ein paar Jahre erspart! Aber natürlich: Jeweils ein Jahr in der Cevapcici-Branche fürs Reisaufkochen zuständig, so verrinnt die Lebenszeit) relativ zäh nach Ungarn ging (ein Jahr in einer Gulaschbude), wo er nach dreizehnjähriger würdeloser Odyssee endlich an den in Flüchtlingskreisen berühmt-berüchtigten „Sepp Schlepp the depp“ geraten war, der ihn letztendlich entgegen der Vereinbarung anstatt nach Deutschland hinauf zu seinem Bruder hinüber zu diesen Bauern nach Österreich brachte und am Ende einer abenteuerlichen Fahrt auf der Autobahn bei Salzburg aus dem Ford Transit warf.
    Dort stand er dann halb verhungert mit den anderen drei Überlebenden der Reisegruppe (von ehedem 88, die sie gemeinsam die Flucht angetreten hatten), wo ihnen der Betrüger „Small German Corner! Small German Corner!“ zurief und mit seinen Armen in die Richtung deutete, in die sie laufen sollten.
    Weil er mittlerweile mit allen Sprachen gewaschen war, wusste der Mao sofort, dass sie am kleinen deutschen Eck angelangt waren, und er malte sich bereits in familiärer Vorfreude aus, dass es nicht mehr weit sein konnte bis zu seinem Bruder nach Strudelwasser an der Oder hinauf, in der Relation natürlich.
    Als sie verbliebene Viererbande in ihrem erbärmlich schwachen, ausgetrockneten Zustand aber anfingen zu laufen, da fuhr ihn Schoßkind des Pechs natürlich dieser Autobus des Rosenkranz Sühnekreuzzugs über den Haufen, bis oben hin angefüllt mit fröhlich singenden polnischen Nonnen. Und seither weiß keiner besser als er, was Konfuzius meinte, als er sagte: „Wer Pech hat, der hat Glück auch keines.“ Sagte Konfuzius.
    Nach zweijähriger Rekonvaleszenz oben im Krankenhaus in Linz, während der es ihm infolge einer schweren posttraumatischen Störung die ehedem seidigen Spaghettihaare zu widerlich borstigen Locken aufzwirbelte, und nachdem sie ihm endlich doch noch das nie gewechselte und lästig juckende Ganzkörpergipskorsett abnahmen, in dem schon mehr Läuse wohnten als Schlitzaugen in China, da war er überzeugt, dass es in einem Menschenleben eigentlich nicht mehr blöder zugehen könnte als in

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