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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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hintanstellen.
    Aber was weiß die Anni? Was wissen die anderen? Und was weiß denn schon der Biermösel?
    Er selbst ist überzeugt, dass ihm — gemessen an seinen fahrerischen Fähigkeiten – sehr wohl ein Boxenluder als Gefährtin im Lebensabend zusteht anstatt einer Putzfrau. Er ist weiters davon überzeugt, dass er sehr wohl der legitime Nachfolger vom Niki sein kann, auch als katholischer Deutschlehrer, und dass unter all den Kurvenakrobaten und Schönwetterfahrern nur er imstande sein wird, die Kurve an der Abzweigung nach Goisern doch noch im Vollgasrausch zu bezwingen. Ja, er ist heute mehr denn je davon überzeugt, dass sich der Höllenritt im Audi Quattro damals sehr wohl ausgegangen wäre, wenn er nur ein etwas renntauglicheres Chassis mit einem in Nuancen stabileren Fahrwerk und härteren Stoßdämpfern zur Verfügung gehabt hätte – einen feuerroten Ferrari F50 mit Sport-Life-M811-Stahlgürtelreifen von Semperit zum Beispiel, der selbst in den dramatischsten Kurven auf der Straße klebt wie ein Kaugummi an der Schuhsohle, und der heute Nacht ungenutzt oben beim Schlevsky in dessen Garage steht.
    „Beweise?“, richtet sich der Mallinger in einer imaginierten Pressekonferenz an die fragende und seiner Meinung nach zu Unrecht skeptische Reportermeute.
    „Könnt ihr gerne haben, Freunde! Noch heute Nacht!“
    Schon rast er als kleines Warm-up im Autodromo Enzo e Dino Ferrari mit über 300 Sachen auf die Piratelle-Kurve zu, bremst sich vor der schwer einsehbaren Schikane Aque Minerali in weniger als zwei Sekunden auf unter 50 herunter, vierter Gang, zweiter, und gleich beschleunigt er im königlichen Park von Imola wieder hinaus auf die lange Gerade, die ihn vorbei an Start und Ziel und an den jubelnden Massen endlich hinauf zur gefürchteten Tamburelia-Kurve bringt, da zittert die Tachonadel schon wieder bei 230, zu schnell, Mallinger, zu schnell! Und dann, nach der zweiten Zwischenzeitnehmung, als er sich an seine persönliche Bestzeit heranzutasten beginnt – wird ihm Imola schon wieder zu langweilig!
    Seine Aufmerksamkeitsschwelle ist die eines kleines Kindes, sein Konzentrationsvermögen schwerst gestört infolge der damals beim Crash erlittenen Kopfverletzungen. „Dieser italienische Bambinokurs“, wie er sich immer über den Grand Prix von San Marino ärgern muss, fordert seine enormen Fahrkünste einfach nicht entsprechend heraus!
    Der Mallinger richtet sich auf und macht ein paar schnelle Rumpfbeugen und entspannende Beckenkreisel. Er reißt die Arme weit in die Höhe (als würde er einen Pokal stemmen!) und stimuliert seinen Kreislauf mit rhythmischen Pumpbewegungen der Hände.
    „Das kannst du besser!“, feuert er sich an.
    Er zwängt sich wieder in seinen Ferrari-Schalensitz vor dem 200-x-300-Flachbildschirm an der Wand und wechselt im Menü seiner Playstation auf den Nürburgring, dessen berühmt-berüchtigte Nordschleife nicht erst seit und nicht nur wegen dem fürchterlichen und beinahe tödlichen Feuerunfall vom Niki im Jahre 1976 seine absoluten Lieblingsstrecke im gesamten Rennzirkus ist.
    Auch die delikaten Witterungs- und Streckenverhältnisse in der Eifel machen diese Strecke zu einer perfekten Blaupause für seine Pläne: Die unverhofft einfallenden Nebelbänke dort; der kurzerhand einsetzende Flutregen; das stets diffuse Licht – all das erinnert ihn nur zu gut und mit wohligem Schaudern an die Wetterverhältnisse während seiner stets mehr als gewagten Fahrten über die nassen Bundesstraßen des Ausseerlandes hinüber nach Goisern, und er bekommt sofort eine Gänsehaut, wenn er an die wenigen Minuten seines Lebens denkt, während der er sich als richtiger Mann fühlen durfte, stark und mutig und verwegen.
    Doch nicht nur vom Wetter, auch vom Streckenprofil her, von der Kurvenbeschaffenheit und dem wechselnden Rhythmus der Beschleunigungs- und Bremszonen hat die alte Arvus-Strecke die größte Ähnlichkeit mit seinen früheren Höllenritten hinüber nach Goisern – die Hohenrain-Schikane, die Döttinger Höhe, das Kesselchen und die Fuchsröhre! Streckenabschnitte, die höchste Konzentration und Fahrkunst verlangen und deren Namen jedem Kurvenartisten auf der Zunge zergehen.
    Und dann natürlich die Nordkurve! Sobald er diesen Namen nur hört, schießen dem Mallinger sofort die Glückshormone in den gedrungenen Körper. Die Nordkurve des Nürburgringes ist die mit Abstand gefährlichste Kurve im ganzen Rennzirkus überhaupt, die ungekrönte Königin der Kurven. Sie ist

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