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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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wissen müssen, dass ein russischer Zoo in einer russischen Winternacht kein teuer ausgeleuchteter Gucci-Laden unten in Milano ist! Und du hättest sofort weglaufen müssen, als du gemerkt hast, dass du an der falschen Tür geläutet hast.
    Plötzlich stand der Pavel nämlich im Schlafzimmer der Frau russischer Bär, und die war ein anderes Kaliber als der sibirische Tiger: vier Meter 50 groß war sie, und 8000 Kilo schwer, also pass auf, oh Pavel, so pass doch auf!
    Doch zu spät. Die Frau Bär hat ihrem Pavel mit dem rechten Zeigefinger einen Scheitel gezogen bis hinunter zum Schambein, sodass sie ihn in zwei schöne Hälften geteilt hat. Und weil auch die Tiere in den russischen Zoos nicht jeden Tag frisches Fleisch zum Fressen bekommen, war die Bärin natürlich hungrig (wie ein Bär) und hat den Pavel traschiert, in seinem eigenen Blut aufgetunkt und ihn bis auf die Knochen verspeist.
    So jedenfalls stand es damals geschrieben in der „Prawda“, und die schreibt die Wahrheit.
    Mütterchen, oh Mütterchen!, ruft die Ivana. Grüß mir meine Babuschka unten in Rostow am Don. Sag ihr, die platinblonde Perücke made in Chekoslovakia, die sie mir zu ihrem 114. Geburtstag vermacht hat, sie tut es immer noch, sie muss es tun! Grüß mir weiters mein Schwesterchen Ninotschka, die die Jüngste, die Hübscheste, die Anmutigste von uns allen ist, die einzig wirklich Blonde. Grüß mir meine beiden Brüder Wladimir und Illjitsch unten in Tschetschenien und sag ihnen, sie sollen endlich aufhören, sich die Schädel einzuschlagen, oh Mütterchen, der Krieg bringt doch nur die Leute um!
    Grüß mir vor allem aber auch das Meer, Mütterchen, die ungestüme und wilde Nordsee, sie ist wie mein Schatzkästchen, die ungestüme und wilde Nordsee, immer ungestüm und wild.
    Und – Mütterchen! Mir ist so kalt! – grüß mir unsere Heimaterde, die gute alte Neue Erde.
    Irgendwann werde ich wieder in einem russischen Bett schlafen, träumt die Ivana in dieser fremden und feindlichen Gegend vor sich hin. Und in der Nacht, wenn ich aufwache, wird mein Herz in einem süßen Schrecken plötzlich wissen, dass ich ja mitten in der Neuen Erde schlafe, daheim und zu Hause. Und ringsum, da schlafen Millionen russische Herzen und pochen in einem fort leise: Daheim bist du, Ivana, daheim bei den deinen!
    So wird es kommen, ist die Ivana überzeugt. Und es wird mir ganz warm ums Herz werden, dass die Krume des Ackers und das Stück Lehm und der Feldstein und das Zittergras (Uiiiii! So kalt ist mir!!) und der schwankende Halm der Haselnussstaude und die Fichten und die Bäche, dass das alles russisch sein wird, wie ich selber zugehörig zu mir, weil es ja gewachsen ist aus Millionen Herzen der Russen, die eingegangen sind in die Erde und zu russischer Erde geworden sind, denn – Nastrowje! – wir leben nicht nur ein russisches Leben, wir sterben auch einen russischen Tod. Jawoll, so und nicht anders ist es!
    Mütterchen!, beruhigt sich die Ivana langsam wieder. Da hängt ja einer dieser grünen Fetzen über dem Heizkessel, wie sie ihn hier alle tragen, sogar der Staatssicherheitsdienst. So ein Wetterfleck ist kein sibirischer Tigermantel, Mütterchen, er ist hässlich und unförmig. Aber uiii!, ruft die Ivana plötzlich begeistert, hier sind ja auch warme Socken und feste Schuhe! Und uiii, da ist ja auch ein Fenster, Mütterchen, das mach ich jetzt auf. Und da draußen ist Erde, hurra, denn es ist ein Kellerfenster, so ein Glück, da steig ich gleich hinaus!
    In dreitausend Tagen kann ich wieder bei dir sein, Mütterchen, wenn ich mich gleich auf die warmen Socken mache, denkt die Ivana.
    Was aber ist es für ein Land, in dem dieses Aussee liegt? Ist es Libyen? Ist es Disneyland? Uruguay?

Nordschleife
    Manche meinen ja, sein fürchterlicher Crash damals wäre vorhersehbar gewesen, weil sie auch meinen, dass er überhaupt nicht Auto fahren kann. Andere meinen, er würde seine Verehrung für den Niki Nazionale vielleicht ein kleines bisschen zu weit treiben, weil er sich vor einem halben Jahr mit der rechten Gesichtshälfte auf die heiße Herdplatte gelegt und sich das halbe Gesicht sowie das ganze rechte Ohr weggeschmort hat. Der Biermösel wiederum meint, ein katholischer Deutschlehrer ohne Führerschein und eine wilde Rennsau mit Perspektive – das geht nie im Leben zusammen! Und die Anni meint, er solle sich zusammen mit seiner schönen Lehrerfrühpension lieber um sie und ihre Zwillinge kümmern und seine so genannten „Spinnereien“

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