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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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schwerer zu durchfahren und kann mit mehr tödlichen Unfällen aufwarten als all die anderen Kurven auf all den anderen Rennstrecken der Welt (oder all die anderen Babykurven, wie er sie abschätzig nennt: die Lesmo und die Parabolika auf der so genannten Hochgeschwindigkeitsstrecke von Monza; die Eau Rouge in der so genannten Hölle der Ardennen – allesamt nur: lächerliche Babykurven!).
    Ganz anders die Nordkurve des Nürburgringes! Wer sie mit Vollgas zu nehmen versucht, wie dies der Niki damals tat, als sein Wagen nach rechts ausbrach und er beinahe im Feuer umkam, der spürt den Atem des Todes (sagt der Heinz Prüller). Vor allem aber: Die Nordkurve hat – welch glückliche Fügung! — genau dasselbe Profil und die gleichen Radien wie seine ewige Herausforderung, wie der schmerzhafte Stachel in seinem Fleisch, wie der Ort seiner bittersten Niederlage und seines für die Hertha und den kleinen Niki letztendlich tödlichen Scheiterns. Die Nordkurve des Nürburgrings ist wie die Abzweigung nach Goisern.
    Es ist still in seinem Einfamilienhaus, und es umhüllt ihn die tiefe einsame Nacht, sobald der Mallinger den Dolby-Surround-Ton seiner Playstation abschaltet und er nur noch Konzentration und höchste Anspannung ist. Die Nordkurve des Nürburgrings ist so gefährlich, dass er sich nun sogar ein Sankt-Christophorus-Medaillon an die Playstation klebt, bevor er den Wagen über die alte, 25 Kilometer lange Strecke jagt. Kaum, dass er nach einer lockeren Aufwärmrunde Start und Ziel passiert hat, fliegt er schon mit 240 Sachen Richtung Norden, und er imaginiert sich das heftige Rütteln und Schütteln zwischen Döttinger Höhe und Antoniusbuche während der über vier Minuten dauernden Fahrt Richtung Nordkurve über das endlose Waschbrett der holprigen Straße mit ihren unzähligen Bodenwellen. Schon fängt er wieder an zu zittern, und vor Aufregung verliert er die Kontrolle über seinen Speichel, der ihm aus den Mundwinkeln auf seinen Pyjama hinuntertropft. Die Bodenmarkierungen ziehen rasend schnell an ihm vorbei, als er den Motor auf 19.000 Umdrehungen hochtreibt, da hat er schon wieder 300 Sachen drauf, zu schnell, Mallinger, zu schnell! Im schnellen Linksbogen fliegt er Richtung Tiergartenschikane und erreicht die erste Zwischenzeitnehmung im Karussell, sehr schöne Fahrt, alles kein Problem, alles mit Vollgas.
    Dann — Vorsicht! — ein beinahe zu scharfer Kurvenanschnitt bei Breischeid, wo er mit den linken Rädern auf die Grasnarbe gerät – ist das aufregend! – und es ihn beinahe zerbröselt, zu schnell, Mallinger, zu schnell! Nun erahnt er nur noch die Strecke vor sich, weil er im Menü seiner Playstation auf „Sauwetter“ gewechselt ist. Er rast im Blindflug durch die Gischt, die sich vor ihm auftürmt. Er ist ganz Konzentration, als er mit akrobatischen Lenkmanövern und mit Vollgas den Fliehkräften trotzt, die an ihm zerren. Und er ist ganz Niki, als er auf dem gefährlich glatten Terrain endlich den Eingang zur Nordkurve erreicht, mit Vollgas natürlich, und selbstverständlich bereits im Geschwindigkeitsrausch. Mit ungeheurer Kraft drückt es ihn in seinen Schalensitz hinein, es presst ihm das Kinn gegen die Brust, und kurz wird ihm sogar schwarz vor Augen, als er den Boliden endlich in die Kurve hineinlenkt, zu schnell, Mallinger, zu schnell! Doch er geht nicht vom Gas, er bremst nicht, der Mallinger bremst niemals. So wie er auch damals nicht vom Gas gegangen ist und nicht gebremst hat, als er den Audi Quattro über eine Bodenwelle peitschte und dieser für endlose Sekunden off ground war, bevor er sich schließlich aus der Kurve an der Abzweigung nach Goisern endgültig Richtung Mischwald verabschiedet hat – Christophorus, oh Treuer, behüt uns am Steuer!
    Es ist still, als der Mallinger realisiert, dass es ihn schon wieder in der Nordkurve zerbröselt hat. Wütend springt er aus seinem Ferrari-Schalensitz. Wütender und gedemütigter beinahe als der Niki 1977 nach seinem verlorenen WM-Titel in der Regenschlacht von Fuji. Kurz fragt er sich, wie das nun wieder passieren konnte, wo er sich doch dem Heiligen überantwortet hatte und sein Medaillon am Bildschirm klebte.
    Nach einer kurzen Schrecksekunde und einer schnellen kalten Dusche aber, und nach einem langen Blick zum Bildnis der Heiligen Jungfrau Maria beruhigt sich der Mallinger wieder, und als er das Medaillon des Heiligen vom Fernseher nimmt, kommt wieder seine Zuversicht zurück.
    Soll er sich denn wegen dieser ein klein wenig

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