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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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instinktartigen Antipathien, plötzlichen Schauern und Schrecken, Gefühlslaunen und Eigensinn der Empfindung: in all diesen Eigentümlichkeiten besteht aber gerade ihre Liebenswürdigkeit, und nachdem die Muse hinlänglich in delikater Weiblichkeit kokettiert hat, wird sie sich plötzlich ihrer überirdischen Natur bewußt und zerstört ihr Geschaffenes im dämonischen Hochgefühl! – Besonders die kleinen Empfindlichkeiten wußte ich mit der Stimme gut wiederzugeben und ihre Verwandtschaft mit dem Humor. Die Tollheiten der lustigen Person erregten allemal Gelächter, aber auch die lieblichen Schilderungen entzückten, und die Schrecken spannten. – Ich blickte auf Feodora – ach, auffallender Mißmut entstellte ihre schönen Züge. Vergebens bot ich alle meine Kräfte auf, die trostlose Gefühlsüberschwenglichkeit des Helden der grellbunten Armseligkeit gegenüber zu schildern. Wie nah lag mir das alles, – ich las nicht, ich lebte alles durch. Ich war erschöpft, meine Stimme ward heiser, sie reichte kaum aus zu dem geheimnisvollleisen Flüstern des Entsetzens, das allmählich seine gespenstischen Schwingen entfaltete und zu dem Schrei des Entsetzens, worin das Ganze schloß.
    Ich war selbst ergriffen. Die Stille währte eine Weile fort. – Ich erhob mich, überlaut tönte von allen Seiten mein Lob. Die Kraft des Dichters, der wunderliche Reiz der Komposition, die Sprache, der Vortrag, man wußte nicht, was man am meisten loben sollte. Ein berühmter Bonmotist behauptete: ich hatte als Vorleser geleistet, was Paganini auf der Geige. Diese pfiff, schnarrte, heulte, näselte, klimperte, knirschte und kreischte und war doch immer voll glockenreiner Lust, Liebe, Gefühl, Zerknirschung und Entsetzen. – Warum denn weigerte sich Feodora, anzuerkennen, was mir das Ziel und Höchste im Leben war?
    Es wurde noch viel über klassische und romantische Poesie gesprochen, und vor allem pries man die deutschen Dichter. Ich hatte mich näher zu Feodora gedrängt, die mich gewahrend behauptete: die romantische Poesie sei gar keine Poesie, es sei ein idealisierter Unsinn, der sich allmählich zum lichterlohen Wahnsinn steigere, eine platte Absurdität, die in starre, verstockte Tollheit ausarte. Kein einziger Gedanke sei ihr in beiden Märchen begegnet, nirgends hätte sie Geschmack oder nur den Beischmack von Geschmack verspürt. Die deutschen Poeten hatten wohl Talent, aber Frankreich allein habe Dichter, wogegen alle ausländischen Dichter sich verhielten wie Gassenbuben zu Hofleuten. – Das Wort »Gassenbuben« erregte allgemeine Mißbilligung. Es war eine Beleidigung, auf die sich nichts erwidern ließ, und ich mußte sie hinnehmen. Das Gespräch war abgebrochen, keiner getraute sich, mir irgend noch etwas Verbindliches zu sagen, um so größer aber war die Achtung, mit der man mich behandelte, und die angesehensten Personen erwiesen mir in einem gewissen Grade ihre Zuvorkommenheit. Ich fühlte aber wohl, daß ich mich entfernen mußte, und nahm die erste Gelegenheit wahr, wo ich mich unbemerkt glaubte. – Feodora eilte mir nach.
    »Wollen Sie schon gehen, Herr Marquis?« fragte sie schmachtend – »doch gehen Sie, gehen Sie, böser Mensch!« fügte sie schmollend hinzu. »Sie haben mich für den ganzen Abend mit ihrer fatalen Poesie zerstört. Mein Gott, Damen dergleichen derbe Deutschheiten vorzulesen! Ich werde diese Nacht nicht schlafen können. Aber ich weiß wohl, das ist Ihr Triumph, wenn Sie ein ahnungsloses, sanftes Geschöpf, wie mich, aus all seinen Sinnen herausschrecken, oh! da dünken Sie sich groß und wundertätig. Von jeher haben die Männer sich bemüht, uns unsere Herzen zu rauben. Sie fangen gar an, unsere Empfindungen zu verwildern, unsere Sinne sich selbst abwendig zu machen.«
    »Feodora!« rief ich überrascht.
    »Gehen Sie, gehen Sie, – denn muß ich nicht fürchten, daß Sie plötzlich selbst in eben solch ein Schreckbild sich verwandeln, wie tausendfach in Ihren Poesien geschieht?«
    »Fürstin!«
    »Ich sage, gehen Sie, doch« – fügte sie mit unbeschreiblich reizender Freundlichkeit hinzu – »kommen Sie bald, recht bald wieder, denn wenn es zu wissen Ihnen der Mühe wert scheint, Ihre Bekanntschaft hat mich sehr überrascht und erfreut.« – Hiermit wandte sie mir den Rücken und verließ mich – mir blieb jetzt nichts als zu gehen, und es war das Beste, was ich tun konnte, denn nach diesem Auftritt bedurfte ich der Einsamkeit. Ich hatte mich nicht geirrt in Feodora, nur

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